Der
Kampf der Flüchtlinge
um Freiheit/AZADI - Lesvos 2009
Im Sommer machte die
griechische Insel Lesvos international Schlagzeilen. Flüchtlingen
gelang es mit Unterstützung von aussen, ein selbstgedrehtes Video
Voices
from the Inside of Pagani Detention Centre aus dem zentralen Aufnahmelager
Pagani zu schmuggeln und auf Youtube zu veröffentlichen. Zur gleichen
Zeit fand in Mitilini das NoborderCamp09
statt, um auf die Grenzsituation in der Ägais aufmerksam zu machen.
Eine erfolgreiche Kombination: Von der Süddeutschen Zeitung bis hin
zu CNN veröffentlichten zahlreiche Medien den Link auf das Video,
so das innerhalb weniger Tage Tausende auf die verheerenden Zustände
im Flüchtlingslager Pagani aufmerksam wurden. Auch Frontex,
die europäische Grenzschutzagentur, die seit einem Jahr im Hafen
von Mitilini präsent ist und nachts Jagd auf Migrant_innen macht,
geriet in das Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Mehrere befreundete
Fotograf_innen waren im Sommer und erst vor kurzem wieder in Lesvos. Vielen
Dank für die eindrucksvollen Fotoreihen und Berichte, die sie für
Umbruch zusammenstellten!
Lesvos in Griechenland ist ein zentrales Eingangstor für Tausende
Flüchtlinge und Migrant_innen, die nach Europa wollen. Sie stapeln
sich in kleinen Plastikbooten bei ihrem Versuch, die Wassergrenze Türkei-Griechenland
zu überwinden. Manche schaffen es nie. In den letzten 20 Jahren verloren
mindestens 1.100 Flüchtlinge und Migrant_innen ihr Leben in der Ägäis.
In Pagani, zwei Kilometer außerhalb von Mitilini, der Hauptstadt
der Insel, befindet sich das geschlossene Aufnahmelager, in das alle Flüchtlinge
und Migrant_innen gebracht werden, sobald sie Lesvos erreicht haben. Sie
werden dort für Wochen und Monate eingesperrt, in Zellen mit jeweils
150 Menschen Minderjährige, Frauen mit Kindern, alle getrennt
von ihren Familien. Hofgang gibt es nur 15 Minuten in der Woche. Es gibt
keine medizinische Versorgung, keinen Zugang zu Rechtsanwält_innen
und keine Chance in ihrem Asylbegehren angehört zu werden. Die Flüchtlinge
sind eingesperrt, nur weil sie Europa ereicht haben und hier nicht willkommen
sind.
Durch den öffentlichen
Druck, ausgelöst durch das Video der Flüchtlinge und die Aktionen
des NoborgerCamps, mußte die griechische Regierung einige Hundert
Flüchtlinge freilassen. Die grundsätzliche Situation in Pagani
änderte sich nicht.
Nachdem die Aktivist_innen von Noborder wieder weg waren, machten die
Migrant_innen mit Hungerstreiks und Revolten weiter auf ihre Situation
aufmerksam. Viele Menschenrechtsorganisiationen besuchten Pagani und forderten
die Schließung des Lagers. Der neue griechische Vizeminister für
Inneres, S.Vougias, kam im Oktober nach Pagani. In einer Pressekonferenz
vor Ort sagte er, das "Dantes Inferno nichts gegen Pagani wäre".
Auch er forderte die Schließung des Lagers. Doch es passierte nichts.
Es waren die gefangenen Migrant_innen selber, die die Schließung
von Pagani durchsetzten sie legten immer wieder Feuer in ihren
Zellen.
Doch Pagani ist noch
lange nicht gegessen. Während im November 2009 nur noch eine Zelle
mit offenen Türen als provisorische Übernachtung für neu
ankommende Flüchtlinge genutzt wurde, gab die griechische Regierung
Anfang Dezember bereits Pläne für die Zukunft bekannt. 2010 will
sie in Lesvos das griechenlandweit erste grosse moderne Lager für Migrant_innen
aufmachen mit "besseren Lebensbedingungen" und mehr Abschiebungen.
Migrant_innen kommen nicht nach Europa um in "besseren" Lagern
zu leben. Sie wollen Respekt und Asyl und einen Ort, wo sie leben können.
Freedom of movement is everybodys right!
Weitere Informationen
und zahlreiche Links siehe unten.
Marily Stroux
Pagani in 10 Minuten
Die Situation auf Lesvos seit Oktober '09
Dies ist der versuch
in 10 minuten über 10 tage in oktober 2009 in mitilini zu erzählen.
über den weg von der revolte zur freiheit und wie es zur momentanen
schliessung von Pagani kam. Oktober ist die begehrteste zeit für migrantInnen um aus der türkei
nach griechenland zu kommen. Das meer ist noch ruhig, die saison zuende. Viele versuchen diese letzte
chance zu nutzen. Die höchsten ankunftszahlen sind immer im oktober. So war auch pagani
voll mit etwa 800 menschen als wir zurück kamen. Hungerstreiks, durststreiks,
revolten bestimmten jetzt den alltag in Pagani.
Bei unserem ersten zaun besuch erwartete uns eine überaschung! Die
minderjährigen hatten hofgang! So konnten wir uns austauschen und erfuhren
das sie sich selber den hofgang organisiert hatten. In dem sie revoltiert
hatten. Feuer in die zellen gelegt. Abends wurden sie wieder in die zelle
gezwungen und das schloss repariert. Als wir uns verabschiedeten rief einer
der jungs: we will give everyday revolt, so that you come here.
Am nächsten tag konnten wir wieder von nah reden. Dieses mal hatten sie in eine andere zelle revolte gemacht.
We can´t live here anymore.
We want our freedom to continue our way.
Die riot bullen die seit einiger zeit im Hof sich aufhielten waren aggressiv und drohten das sie bei jeder neue Revolte 2 Leute festnehmen
werden. Egal ob sie sich an der Revolte beteiligt hatten oder nicht. Die Drohung
wurde Realität, was die Wut größer machte.
Da die meisten MigrantInnen uns nicht kannten versuchten sie uns ihre Situation
zu erklären. als wir dann sagten das wir schon mal hier auch mit mehrere leute demonstriert
haben grinste einer und sagte :no border no nation stop deportation! Er war seit 4 Monaten in pagani.
Bei unsere tägliche oder nächtliche besuche am zaun fragten wir
ob sie wollen das wir ihre Beschwerden und Geschichten im internet veröffentlichen,
wir stellten alles auf die Seite und am nächsten Tag manche davon sagten das ihre Freunde in andere
Länder das gesehen haben. Das gefühl ausserhalb der mauern von
pagani gehört zu werden, stärkte sie. Sie bedankten sich und Mehdi
sagte: Sorry instead of love we give you trouble!
Am Abend vom 21 Oktober erfuhren wir vertrauensvoll das der neue Vice-Innenminister
(was jetzt Minister für den Schutz des Bürgers heißt) einen
überaschungs-Besuch nach pagani machen wollte. keiner sollte das wissen
damit er die Zustände selber sehen könnte. Am nächsten morgen
standen wir vor dem Zaun und staunten nicht schlecht.
Das Schrott Auto,
was vor der eine Zelle seit Monate hingeschmissen war, war plötzlich
entfernt, der Dreck auch, stattdessen MigrantInnen schlenderten hier und
da als ob es alltäglich wäre im Hof. Manche saßen zu zweit
oder zu dritt. Es sah aus wie eine inszenierte Landschaft. Der Vize-Minister
kam begleitet von Menschen von internationalen NGOS, pro asyl, unhcr aber
auch den prefekt und polizeichefs. Das Tor ging auf und wir alle gingen
rein. Der minister ging in jeder zelle rein, ohne presse, und hörte
sich die geschichten der menschen an. Er ging von zelle zur zelle und
viele erzählten ihre besonderen geschichten und er hörte zu.
Als er zu der minderjährigen zelle kam sagten sie ihm das am Abend
davor die riot bullen sie verprügelt und gedroht hatten, wenn sie
es jemand sagen, würden sie heute Abend noch mehr verprügelt.
Sie sagten das dem Minister, der versuchte ohne erfolg das aufzuklären.
Danach in eine pressekonerenz im Hof mit alle Zellen Türen offen
sagte er: Dantes inferno wäre nix gegen dem, was er hier gesehen
hat und das pagani geschlossen gehört. Die migrantInnen voller Hoffnung
auf eine sofortige freilasung waren am jubeln. Temporäre familienzusammenführungen
würden von alle fotografiert . familien mitglieder, die seit wochen
in getrennte zellen eingesperrt waren, konnten sich endlich sehen und
anfassen. Dann ging der Minister und wir auch.nur die gefangen blieben
und die riot bullen.
Abends war die Wut der enttäuschte Menschen noch größer
und sie legten wieder Feuer. die riot Bullen hielten ihre versprechen
und ließen sie einzeln aus der brennende Zelle raus und prügelten
jeden einzeln. 6 Migranten wurden verletzt ins Krankenhaus geliefert.einer
davon nachdem er zwei Stunden ohnmächtig im Hof lag. andere mussten
sich selber behandeln.
Am nächsten morgen als Besuch von einer NOG rein kam erfuhren sie
von der Prügel Orgie. Die MitarbeiterInnen der NGO beschlossen sofort
anzeige gegen die Polizisten zu erstatten und 147 Migranten unterschrieben,
das sie zeugen des Vorfalls waren.
Plötzlich an diesen Nachmittag wurden viel mehr Menschen als sonst
freigelassen.
Wir merkten, das darunter zeugen des Vorfalls waren. Diesmal wurden sie
auch so freigelassen das sie das Schiff nach Athen rechtzeitig kriegen
konnten.
Trotzdem haben wir Interviews machen können mit welchen, die erzählten,
das die Polizei sie unter Druck gesetzt hat: entweder bleibst du bei deinen
aussagen und bleibst in pagani noch 8 Monate oder du ziehst deine Unterschrift
zurück und kommst heute noch frei und darfst auch noch vier Freunde
mitnehmen! Haben alle gemacht. aber uns die Geschichte erzählt, und
weiter als zeugen zur Verfügung gestanden. Dank den vielen zeugen
die schnell entfernt werden sollten kamen viele Menschen frei, die nächste
tage. Aber auch die Revolten spitzen sich zu.
Während der jetzt täglich findende Freilassung Nachmittags würde
von den zurückgebliebenen ein riesen Feuer gelegt das die Zelle endgültig
unbewohnbar machte.
Die freigelassenen
wurden immer rechtzeitig zum hafen gebracht, so das sie das Schiff verpassen
mussten und nur beim ablegen zugucken konnten. Sie blieben im hafen ohne
Tickets, ohne essen, ohne Schlafmöglichkeit. Nach der anzeige gegen
sie, beschloss die Polizei sich aus pagani zurückzuziehen. Sie wollten
nicht mehr handlanger der politik sein und machten nur noch schichten
vor dem Tor. Das personal verschwand auch. Von Tag zu Tag gab es mehr
offenen Zellentüren. Tagsüber draußen essen, fussball
spielende kinder rannten rum. In der zwischenzeit knallte eines morgens
ein Holzboot mit mehrere menschen aus afghanistan gegen einen Felsen nur
ein paar Meter vor der Küste von Korakas entfernt. 8 Frauen und Kinder
ertranken.
Wir suchten im Krankenhaus nach überlebenden und erfuhren das der
prefekt sie in ein Hotel untergebracht hatte. Abends am Zaun von pagani
lernten wir Arif Soldier kennen ein überlebender, der von seine Frau
únd Baby getrennt wurde und im Knast gebracht. "Aus versehen"
wie uns gesagt wurde, nachdem wir auch das öffentlich gemacht haben.
Am nächsten tag konnte er zu seine Familie. Ein fischer hatte sein
baby seine frau und ihn gerettet in dem er selber ins wasser gesprungen
war.
In der zwischenzeit gingen die Revolten weiter.
In der Stadt traf sich das offene Plenum aus verschiedenen politischen
zusammenhängen und beschloss eine pressekonferenz vor pagani zu machen
und eine Demo. Mit der Forderung der sofortigen Schließung. auch
papa stratis kam zur pressekonferenz und verteilte in seiner besondere
art kleidung und spielzeug. während er über den zaun sachen
reichte, konnten die menschen auch sich selbst bedienen. Bei der Pressekonferenz
sprach auch Mehdi, ein minderjähriger afghane stellvertretend für
alle von hinter dem Zaun. Die ganze lokale presse war vor Ort und berichtete.
Abends beim nächtlichen besuch hörten wir singen und tanzen
aus der einen zelle.
Sie feierten, das am nächsten tag solidarische menschen eine demo
für ihre freilassung machen würden. Am nächsten Abend bei
der Demo durch die Stadt kamen auch die MigrantInnen mit, die die letzte
nacht im Hafen draußen geschlafen hatten. Weil sie nicht rechtzeitig
freigelassen wurden um das Schiff zu kriegen und keiner Fahrkarten von
der Präfektur bekommen hatte.
Da das Wetter kalt geworden war und darunter Frauen und Kinder sich befanden,
wurde beschlossen für die Nacht ein Unigebäude zu besetzen.
Die Demo wurde angeführt von etwa 30 migrantInnen und es folgten
hunderte von solidarischen menschen. Auch die Überlebenden des schiffsunglücks
sind mitgegangen. Geschlossen ging ein teil der demo dann zur Uni, wo
warme räume, essen und gastfreundschaft spürbar wurde. Am nächsten
Tag kamen die letzten raus. In der hektik der letzten minuten sprang ein
mensch wieder rein der was vergessen hatte. Als alle ihre langersehnte
papiere, mit der auforderung in einem monat griechenland zu verlassen,
in der hand hatten blieb nur noch ein Mensch drin. Ausgerechnet er, der
eine rosa Karte hat und in mitlini arbeitet! Er versuchte seit tagen seinen
fall aufzuklären, ohne erfolg. Abends kam auch er endlich frei.
Am nächsten Tag mussten wir uns vergewissern das pagani leer war.
Neben abgebrannten Matratzen lag draußen ein riesen Schlüsselbund,
bis ich das Foto gemacht hatte sprang aus einem privaten Auto ein uniformierter
Polizist der mich anmachte was ich mit den Schlüssel wollte. Es wäre
seiner! Ich sagte: wir brauchen keine Schlüssel! die Menschen wollen
Freiheit. Das Tor war auf, die Putzfrauen waren drin, wir auch. Stücke
Stoff überall festgemacht mit gebete, durchhalte -Parolen, erinnerungen
an noborder, und überall ein Brandgeruch in der Luft.
Die Wände sagten:
sie wüssten wie Revolten gehen
und werden es weiter erzählen.
Drei tage später gab es schon wieder menschen die den Wänden
zuhören wollten :
die einzige noch einigermaßen heile Zelle wurde, mit offenen Tor
und ohne personal,
als übernachtungsmöglichkeit von der präfektur benutzt,
für neu ankommende.
Pagani ist zu.
Alle zeugen und erfahrene revoltierer sind weit weg,
befreit gegen schweigen.
Pagani wird weiter genutzt
aber nicht nur die Wände wissen jetzt
wie widerstand geht.
Pagani ist zu,
der staat ist nicht rassistisch,
die bullen töten nicht,
die erde ist eine scheibe
AZADI!
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Serie
1 - Das Aufnahmelager Pagani
Diaserie
ansehen (21 Fotos)
Fotos:
Noborder09 Lesvos-Azadi Fotoarchiv
Aristos Gianopoulos, Birte Weiss, David Schommer, Günter
Zint, Lena Zint,
Marily Stroux, Najibullah Mehrde, Ralf Simon, Salinia Stroux
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Noborder
Camp 2009 - Serie 2
Diaserie
ansehen (23 Fotos) |
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Pagani 2009 (Oktober) - Serie 3
Diaserie
ansehen (20 Fotos) |
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Video:
Voices
from the Inside of Pagani Detention Centre |
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Pagani
in 10 Minuten - Serie 4
Text
und Bilder von Marily Stroux
Audio-Diaserie
mit aktuellem Bericht aus Pagani ansehen |
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Chronologie
NoBorderCamp Lesvos 09
Donnerstag
23.7.
Erfolgreiche Verhinderung der Abschiebung von 62 Flüchtlingen
aus dem Flüchtlingsgefängnis Pagani. Angebliches Ziel
der geplanten Abschiebung war ein Knast in Kavala, der aber gar
nicht existiert. Wahrscheinlicher ist ein Refoulement in die Türkei.
Spät nachts als die Flüchtlinge in Handschellen zum Schiff
geführt wurden tauchten überraschend 60 Menschen vor dem
Fährzugang mit Transparenten auf und machten eine Blockade.
Gleichzeitig wurden Flyer an die Passagiere und anderen Anwesenden
verteilt und Solidaritäts-Parolen gerufen. Nach ca. 3 Stunden
und nachdem schon Riot-Einheiten der Hafen Polizei heran geholt
worden waren, die sich aber nur genähert aber nicht eingegriffen
haben, fuhr das Schiff endlich weg - ohne die Flüchtlinge.
Ähnliche Aktionen fanden in den darauf folgenden Tagen in Xios
und Samos statt.
Freitag
7.8.
Besetzung eines Radiosenders in Mitilini, um über das bevorstehende
NoBorderCamp in Lesvos zu informieren und als Gegeninformation,
um die Angriffe auf Flüchtlinge auf den ägäischen
Inseln öffentlich zu machen.
Montag
10.8.
Hungerstreik der Flüchtlinge im Flüchtlingsgefängnis
auf der Insel Samos, um ihre bevorstehende Abschiebung in die
Türkei zu verhindern. Sie sind erfolgreich.
Donnerstag
13.8.
Kundgebung im Zentrum von Mitilini. Solidemo für die Flüchtlinge
mit etwa 150 Menschen. Die Demo ging durch die Einkaufsstraße
Richtung Hafen, wo das Jagdschiff von Frontex liegt. Aber es hatte
den Hafen Stunden zuvor verlassen.
Dienstag
18.8.
7 Tage vor Campbeginn! 160 minderjährige Flüchtlinge
in Pagani beginnen einen Hungerstreik - ihre einzige Forderung:
Freiheit. Sogar per Gesetz ist das Einknasten von Minderjährigen
verboten.
Donnerstag
20.8.
Soli-Kundgebung für die minderjährigen Flüchtlinge
im Hungerstreik in Pagani. Für viele AktivistInnen ist es
ihr erster Besuch in Pagani und sie sind schockiert. Parolen wurden
gerufen, sich ausgetauscht und es gelingt, eine Kamera in die
Zellen zu schmuggeln. Die gefangenen Flüchtlinge selbst dokumentieren
ihre Situation in den überfüllten Zellen. Filmausschnitte
von "Voices from Inside Pagani" werden in den nächsten
Tagen weltweit bis hin zu CNN gesendet. Später wurde ihre
Stimmen von einer Demo in die Stadt getragen, die beim Gericht
endete, um den für die Minderjährigen zuständigen
Richter zu erreichen. Er war aber abwesend - natürlich.
Polizeieinheiten bewachten das Gericht und das Ministerium der
Ägäis - wahrscheinlich aus Angst wegen des vergangenen
Dezembers.
Freitag
21.8.
Flüchtlinge aus Somalia und Afghanistan kampieren obdachlos
im Hafen - u.a. hochschwangere Frauen, Familien mit kleinen Kindern
usw. Sie waren am Vorabend aus Pagani entlassen worden und ohne
jede Unterstützung der griechischen Autoritäten zum
Hafen gebracht worden. Wegen des Ferienendes in Griechenland sind
alle Fähren von Lesbos ausgebucht und sie können die
Insel nicht verlassen. Sie werden ins im Aufbau befindliche NoBorderCamp
außerhalb der Stadt eingeladen. Sie leben nun zusammen mit
den anderen noBorder - AktivistInnen, die schon angekommen waren.
Während ihres Aufenthaltes wurden gemeinsame Plena gemacht
und gemeinsame Aktionen geplant und durchgeführt. Diskussionen
auf dem NoBordercamp, wie man die lokalen Autoritäten dazu
bringen kann, die freigelassenen Flüchtlinge zu unterstützen.
Samstag
22.8.
Wie weiter, wenn immer mehr Flüchtlinge ins Camp wollen?
Kontroverse Debatten im Camp führen zur Entscheidung in Mitilini
einen Infopunkt als Anlaufstelle aufzubauen.
Sonntag
23.8.
Protestaktion im Hafen von Mitilini während der Ankunft und
Abfahrt der Fährschiffe. Information der Öffentlichkeit
über die Situation der Flüchtlinge auf Lesbos, mit einem
Fokus darauf, dass die Flüchtlinge, wenn sie denn endlich
aus Pagani freigelassen werden, allein und ohne jede Unterstützung
auf der Straße leben müssen.
Bei der Aktion nahmen auch ein Teil der Flüchtlinge teil.
Nach der Abfahrt des Schiffes ging die Demo in Richtung Stadt,
wo sie auch am Frontexschiff vorbeikam. Die Besatzung erschrak
sich sehr und machte einen sehr plötzlichen Rückzug
aus dem Hafen. Bei dem Manöver verloren sie ihre Vorleine.
Während des Zusammentreffens der Demo und des Frontexschiffes
wurde auch das Schiff besprüht: assasini und no bo...
Neben dem National Theater hatte während der Demo parallel
der Aufbau des Infopoints des NoBorder begonnen - in einem kleinen
Zirkuszelt. Ziel dieses Infopoints war, den Kontakt zur Bevölkerung
aufzubauen und die Informationen, Aktionen und Diskussionen von
NoBorder in der Bevölkerung bekannt zu machen. NoBorder soll
auch in der Stadt sichtbar werden. Der Infopoint wurde später
auch das Zuhause für ziemlich viele Flüchtlinge, die
auf der Durchreise waren und ein Ort für eine kurze Verschnaufpause,
um sich zu erholen. Der Infopoint wurde im Lauf der nächsten
Tage zu einem wirklichen "Willkommenszentrum" und gleichermaßen
chaotischem wie eindrucksvollen Treffpunkt für viele Neuankömmlinge,
die dort von CampaktivistInnen wie auch den schon erfahrenen MigrantInnen
in allen Fragen beraten werden.
Das Ende der Demo zum Infopoint war zufällig gleichzeitig
mit der traditionellen Sonntags- Militärparade, die die griechische
Fahne einholt. Die lokale Bevölkerung wird zusammengeschweißt
unter dem gemeinsamen Nenner leerer nationaler Ideale und gibt
damit dem Militär eine scheinbare Berechtigung, auf den Straßen
präsent zu sein. Spontan haben sich etwa 15 Menschen vor
die Parade gestellt und sie blockiert. Eine Gruppe von Zivis,
der Küstenwache und Polizisten drängten die Blockierer
ab. Davor waren sie aber schon mit Tritten und Schlagstockeinsatz
von der hinzueilenden Riot Hafenpolizei geschlagen worden.
Montag
24.8.
Während des Besuchs des UNHCR und seinem Empfang durch den
Bürgermeister gab es eine Protestkundgebung vor dem Rathaus.
Auch Vertreterinnen von NGOs waren dabei. Nach seinem Besuch in
Pagani organisiert NoBorder eine improvisierte Pressekonferenz,
in der klare Statements zu Pagani und dem Asylsystem in Griechenland
abgegeben werden. Das Rathaus wurde mit einem 15 Meter langen
Transparent umwickelt, das dasNoBorderCamp Calais mitgebracht
hatte und es wurden viele Parolen gerufen.
Nacht kommen neue Flüchtlinge und MigrantInnen mit Booten
aus der Türkei an, vielfach afghanische junge Männer,
aber auch somalische junge Frauen. Etwas überraschend, dass
die ersten Gruppen (ohne Registrierung) direkt den Infopoint anlaufen.
Sie erhalten dort spontan organisierte materielle, medizinische
und juristische Unterstützung.
Dienstag
25.8.
Offizieller Start des NoBorder Camps. Erstes großes gemeinsames
Plenum mit Berichten über die bisherigen Aktionen und die
Strukturen auf dem Camp. Nachmittags Radio-Ballett in Mititlini,
das beim Saphoplatz anfing und bis zur Promenade weiter ging.
Mittwoch 26.8.
200 Flüchtlinge werden aus Pagani freigelassen und ein neues
offenes Camp wird offiziell eröffnet, auf dem Zeltplatz pikpa
neben dem Flughafen. Die Türen sind auf, es gibt keine Polizei.
In den kommenden Tagen werden unter dem Druck der Öffentlichkeit
immer mehr Flüchtlinge aus Pagani freigelassen und ins pikpa
gebracht. (An einem Tag waren 750 Menschen da!) Zu einer Veranstaltung
zum Grenzregime auf einem öffentlichen Platz in Mytilini
kommen über 300 ZuhörerInnen.
Donnerstag 27.8
Zwei Versuche die Inselprefektur zu besetzen scheitern, ein erster
frühmorgens. Ein paar Stunden später versuchten Demonstrantinnen
nochmals das Rathaus zu besetzen. Nach einer kurzen Auseinandersetzung
mit der Polizei geht die Riot Police auf die Leute mit Feuerwehrkörper
und Schlagstockeinsatz los. Mindestens zwei Genossen wurden schwer
verletzt. Später wurde der Versuch einer kleinen Gruppe,
ein Transparent gegenüber dem Rathaus auszurollen wieder
mit Brutalität der Polizei verhindert. Die Hafenpromenade
wurde von der Polizei stundenlang zugemacht und blockiert.
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Am
Nachmittag fuhren die ersten Flüchtlinge, die im NoBorderCamp
gewohnt hatten, mit der Fähre nach Athen. Eine bunte Farewell
Parade begleitete sie zum Hafen. Etwa 200 Leute mit Musik-Anlage
und Parolen liefen gemeinsam zum Hafen. Die bunte und fröhliche
Parade wurde von grünen MAT-Einheiten begleitet.
Abends gab es die geplanten Besuche mit Diskussionen in vier Dörfern
von Lesvos: Plomari, Agiasos, Molivos und Mantamados.Eine Gruppe
von 22 Afghanen kommt im Infopoint an. Sie wurden bei ihrer Ankunft
auf der Insel nicht festgenommen und wollten auf keinen Fall nach
Pagani, sich aber registrieren lassen, um weiterfahren zu können.
Sie sind zum Pikpa gefahren und beschlossen nach einem Plenum,
dass sie unser Angebot annehmen, dass eine RechtsanwältInnen-Gruppe
mit der Polizei verhandelt, dass die 22 sich beim Pikpa direkt
registrieren lassen wollen, aber auf keinen Fall in den Knast
gehen werden. Registrierung ohne Internierung!
Nach stundenlangen Telefonaten und Gesprächen hat der Bürgermeister
eingewilligt, dass sie vor Ort von der Polizei registriert werden
und das Papier bekommen, dass sie in 30 Tagen Griechenland verlassen
müssen. Dies ist ein Präzedenzfall, der zeigt, dass
es möglich ist, die Flüchtlinge einfach zu registrieren
und ihren Weg gehen zu lassen - ohne die Zwischenstation Pagani
oder irgendeines anderen Knasts.
Freitag 28.8.
Die geplante Kundgebung vor dem Knast in Pagani wird von der Polizei
verhindert. Bereits einen Kilometer vor dem Knast stoppen Riot
Police Einheiten mit einer Sperre die 600 Demoteilnehmer_innen.
Bewaffnet mit Tränengas-Waffen und vermummt haben sie sich
in den umliegenden Bergen postiert.
Nach langen Verhandlungen wurde eine Delegation von 15 Menschen
nach Pagani hineingelassen, um die Situation drinnen zu sehen,
mit den Flüchtlingen zu reden und die Lebensbedingungen öffentlich
zu machen. Ärzte der Delegation behandelten die Notfälle
und Rechtsanwälte informierten die Flüchtlinge über
ihre Rechte. Die Delegation forderte die sofortige Freilassung
von Frauen und Kindern, und dass auch alle anderen am nächsten
Tag freigelassen werden und zum Camp Pikpa gebracht werden.
Die Behörden versprachen es und versprachen auch, dass bis
zum Montag den 31.8. alle Minderjährigen freigelassen werden.
Nichts als Versprechungen.....
Die Kundgebung vor Pagani dauerte 4 Stunden - es wurden viele
Parolen gerufen und sehr laut Musik auf der Straße mit allem
Möglichen gemacht, hörbar bis zum Gefängnis. Danach
gab es eine große Demo mit fast 1.000 Leuten nach und durch
Mitilini. Flugblätter wurden verteilt, Plakate geklebt, an
die Wände gesprüht und Parolen gerufen, sie endete auf
dem Sapfo platz. Eine der größten Demonstrationen auf
Lesbos.
Ein Teil der Demo ging weiter bis zum kulturellen Zentrum arxontiko
georgiadi wo ein Konzert der Gruppe ximerini kolimvites stattfand,
das organisiert war von der Stadtverwaltung. Einige CampAktivistInnen
benutzten die Mikrofone und lasen einen Text über Flüchtlinge
vor.
Samstag
29.8.
Aktionstag gegen Frontex und die Küstenwache. 50 Menschen
springen mit kleinen Schlauchbooten in das Hafenbecken und fangen
eine symbolische Blockade des Hafens an. Die Küstenwache,
das Limeniko, fängt vor den überraschten Augen aller
Anwesenden an, seine mörderische Praktiken mitten im Hafen
von Mitilini vorzuführen, indem sie mit schnellen Drehungen
ganz nah an den Schlauchbooten versuchen, diese zum Kentern zu
bringen - das Gleiche, was sie nachts auf dem offenen Meer mit
den Flüchtlingsbooten machen und wofür es nie Zeugen
gibt. Gleichzeitig versuchen sie von ihren Schiffen aus mit Wasser
aus Schläuchen gezielt auf die Schlauchboote diese zum Sinken
zu bringen.
Ein Motorschlauchboot, das sich außerhalb des Hafens befand
und als Erste-Hilfe-Boot im Hafen sein wollte, wurde von einem
Boot der Küstenwache ohne jegliche Warnung gerammt, die Leute
angebrüllt, beschimpft und dann wurde mit einem großen
Messer ein 16 Zentimeter langer Schnitt in das Schlauchboot gemacht.
Wir fragen uns, wozu diese Menschen nachts auf dem offenen Meer
fähig sein mögen, wenn niemand zuguckt.
Dennoch kamen die ersten Schlauchboote in die Hafeneinfahrt und
blockierten sie mit einem Frontex-Kills-Transparent. Eine Solidemo
läuft durch den Hafen, DemonstrantInnen gelingt, der Hafenpolizei
ein Schlauchboot zu klauen, das wahrscheinlich von Flüchtlingen
beschlagnahmt worden war. Die große Fähre läuft
aus, behängt mit einem riesigen Frontex-Kills-Transparent.
Parallel zu den Aktionen im Hafen hat eine kleine Gruppe von Menschen
sich vor Pagani versammelt und es ist ihnen gelungen, ein Außentor
zu öffnen und in den Hof zu gelangen.
Morgens war er für ein paar Stunden lang von Flüchtlingen
besetzt gewesen, die nach dem Hofgang nicht wieder in die Zellen
zurück gehen wollten.
Zeitgleich werden viele Flüchtlinge aus dem offenen Camp
pikpa freigelassen und erhalten ihre weißen Papiere.
Schließlich verlassen die DemonstrantInnen auf dem Hof diesen
freiwillig und dennoch kommt die mat Riot Polizei und prügelt
mit Schlagstöcken. Das Resultat sind mehrere Verletzte.
Abends gab es ein Soli Konzert mit Bands von MigrantInnen der
"2. Generation" aus den Philippinen.
Sonntag
30.8.
In dem Moment als die letzte organisierte Veranstaltung des Camps
aufgebaut wurde, zum Thema Migrant_innen, Arbeit und Arbeitsrechte,
fand am Infopoint eine sehr merkwürdige Aktion statt.
Es war Sonntag und die traditionelle Militär Parade wurde
diesmal begleitet von etwa 20 "Bürgern", rechts
und links von ihnen riot Polizei. Dahinter eine Einheit der Küstenwache,
die in der ihnen bekannten Art Leute beschimpfte und damit Auseinandersetzungen
zu provozieren. Bei ihnen versammelten sich weitere Leute. Anwesend
war der Polizeichef von Mitilini und unzählige Leute von
der Küstenwache, sogar zwei Krankenwagen nahmen teil.
Es ist offensichtlich, dass sie einen öffentlichen Angriff
auf uns suchten. Dazu muss man ergänzen, das sich seit Tagen
20 Meter vom Infopoint entfernt Riot-Polizeieinheiten befanden.
Aber die Leute sind auf die Provokationen nicht eingegangen und
blieben ruhig aber entschlossen beim Infopoint, wo auch mehrere
Flüchtlinge auf ihre Fährtickets warteten Nach diesem
ersten öffentlichen Auftritt des nationalistischen faschistischen
Zentrums reagierten viele Menschen von noborder sofort und machten
Nachtwachen.
Montag
31.8.
Der offizielle Schlusstag des Camps beginnt mit einer Dachbesetzung
in Pagani. 10 Menschen aus verschiedenen Ländern stiegen
aufs Dach von Pagani und hingen Transparente mit der Forderung
nach der Schließung von Pagani und anderen Soli-Parolen
auf. Sie gaben den Gefangenen ein Megaphon, damit sie ihre Forderungen
selber laut rufen konnten. Die herbeigeeilten Riot-Polizisten
griffen die anwesenden DemonstrantInnen vor dem Knast brutal an
und holten die DachbesetzerInnen runter und nahmen sie fest. Als
die Solidemo in der Stadt ankam, wurde sie nochmals von der RiotPolizei
angegriffen. Die Dachbesetzer_innen wurden zur Polizeizentrale
gebracht, ihre Personalien aufgenommen und sie dann ohne Anklage
freigelassen. Nachmittags begann der Abbau des Infopoints und
abends gab es eine "wilde" Abschlussparty im Camp mit
dem inoffiziellen Motto: Tanzen
gegen Taliban und Grenzregime!
Dienstag
1.9.
Campabbau und Begleitung und Verabschiedung von Flüchtlingen
auf die Fähre nach Athen. Der Protest geht weiter: 47 unbegleitete
Jugendliche aus Afghanistan, Somalia und Palästina haben
einen Hungerstreik angefangen, vier sogar einen Durststreik. (Das
Wasser in Pagani ist aber eh nicht trinkbar). Manche von ihnen
sind seit über 40 Tagen eingeknastet. Nach Drohungen von
der Knast-Leitung, dass die Hungerstreikenden abgeschoben werden,
haben sie mit dem Hungerstreik aufgehört.
Mittwoch
2.9.
Gefangene in Pagani begannen eine Revolte und weigerten sich,
in ihre Zellen zurückzugehen und forderten ihre sofortige
Freiheit.
Donnerstag
4.9.
Die ersten Flüchtlingsbekanntschaften aus Lesbos kommen in
Deutschland an....
Mittwoch
9.9.
Erstmals ist ein Eilantrag sogar vor dem Bundesverfassungsgericht
erfolgreich: Die Rückschiebung eines Irakers nach Griechenland
entsprechend der Dublin-Regelungen wird untersagt.
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