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G8 Gipfel in Genua"Summer of Resistance" - Eine BildernachleseVom 20. bis zum 23. Juli 2001 versammelten sich die Regierungschefs der
acht mächtigsten Staaten der Welt zum G-8 Gipfel in der norditalienischen
Hafenstadt Genua. |
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Positionspapier des Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft des Bundeskongress
entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO)
Die Ereignisse von Genua haben viele Facetten. Im Vordergrund steht die massive
staatliche Gewalt. Ein Toter, hunderte von (Schwer-)Verletzten und vermutlich
viele lang anhaltende Traumatisierungen sind die deprimierenden Folgen dieser
Gewalt. Darüber sollte aber nicht die Mobilisierung von 200 000 - 300 000 Menschen
(ZDF und n-tv berichteten dagegen nur von 50 - 60000 DemonstrantInnen) vergessen
werden. Diese Mobilisierung ist erst einmal als Erfolg zu bewerten. Sie zeigt,
dass die uneingeschränkte Hegemonie der neoliberalen Globalisierung zumindest
angekratzt ist. Diese neoliberale Globalisierung ist ein widersprüchlicher sozialer
Prozess, der äußerst gewaltförmig verläuft, vor allem in Ländern der sog. Dritten
Welt. Dies wurde und wird hier nur von einer verschwindend geringen Minderheit
wahrgenommen und kritisiert. Die Gewalt nimmt dabei unterschiedliche Formen
an. Seit wenigen Monaten äußert sie sich auch hier (EU-Länder) zunehmend in
Gestalt massiver physischer Repression gegenüber den KritikerInnen der neoliberalen
Globalisierung. Die – so ist zu befürchten – vorläufigen Höhepunkte dieser Entwicklung
sind die Todesschüsse, die Prügelorgien und die auf den Polizeiwachen die Schwelle
zur Folter erreichenden Praktiken der “Sicherheitskräfte” in Genua. Ihnen voraus
gingen bis dahin unbekannte Versuche zur Kriminalisierung und Einschüchterung
der sog. Globalisierungsgegner, angefangen von aberwitzigen, aber nichtsdestotrotz
von “seriösen” Medien verbreiteten Unterstellungen (Stichwort: Attentate mit
aidsverseuchten Blutkonserven) über das zeitweilige Außerkraftsetzen der Reisefreiheit
bis hin zur öffentlichkeitswirksamen Bereitstellung von 200 Leichensäcken. Der
Hass und die bewusst durchgeführten brutalen Prügeleien seitens der Polizei
haben eine Dimension erreicht, die bisher unvorstellbar war und auch in keiner
Weise mit dem Agieren des sog. Schwarzen Blocks und anderer Militanter erklärt
werden kann. Einige sprechen von Polizeistaat und Staatsterrorismus, andere
von protofaschistischen Elementen, wieder andere denken an Chile. Für viele
wird sich Genua mit traumatischen Erfahrungen, mit purer Angst, Panik und Hilflosigkeit
verbinden. Noch fehlt uns die passende Sprache, um diese Ereignisse angemessen
zu beschreiben. Wir sehen in den Ereignissen von Genua eine neue Qualität des
staatlichen und medialen Umgangs mit den Widersprüchen neoliberaler Globalisierung.
Dabei sind wir uns der langen Geschichte der Unterdrückung linker Bewegungen
vor allem in den 70er Jahren bewusst. Wir sehen aber auch neue Herausforderungen
für die internationale Protestbewegung. Im Folgenden wollen wir auf beide Aspekte
eingehen, indem wir uns - ausgehend von Genua - mit der Frage staatlicher Gewalt,
der Rolle von Militanz und den Perspektiven des internationalen Protestes beschäftigen.
1. Internationaler Protest und staatliche Gewalt
Noch in den 90er Jahren hatten sich staatliche Akteure darauf konzentriert,
dem damals vor allem in Gestalt von professionalisierten Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) daher kommenden Protest gegen die “Auswüchse” neoliberaler Globalisierung
dadurch zu begegnen, dass sie den NGOs auf dem Nebenschauplatz der UN-Konferenzen
begrenzte Mitspracherechte einräumten. Mit dieser “Offensive des Lächelns”,
einer Strategie der Kooptation und Einbindung, hatten die staatlichen Akteure
großen Erfolg. Viele Lobby- und NGO-VertreterInnen sahen in diesen Dialogangeboten
auch einen Beweis ihrer Stärke. Sie produzierten Expertisen, bewegten sich professionell
auf dem diplomatischen Parkett und vertrauten auf die Macht des besseren Arguments.
Mit Seattle änderte sich die Situation. Die massiven Proteste auf der Straße
unterstrichen, dass es mit der “Offensive des Lächelns” allein nicht mehr getan
ist. Anders ausgedrückt: Nachdem sich ein relevanter Teil der KritikerInnen
neoliberaler Globalisierung nicht länger an den herrschenden Politikformen und
-inhalten orientiert, sondern diese selbst in Frage stellt und mit den symbolischen
Angriffen auf G-8, IWF oder WTO die Legitimation dieser Institutionen erfolgreich
angekratzt hat, wird verstärkt die repressive Karte gespielt. Zwei Ziele werden
damit verfolgt: Zum einen soll die sich heraus bildende internationale Protestbewegung
in der Öffentlichkeit delegitimiert werden. Dies zeigt sich in Kommentaren,
die den “Globalisierungsgegnern” bescheinigen, in Genua “keine zusätzliche Legitimität
gewonnen (zu haben), die sie auch nur entfernt in die Nähe der gewählten Repräsentanten
alter Demokratien rückte” (FAZ, 23.07.01); dies zeigt sich des Weiteren in der
Rede von “Krawallmachern” und “Polit-Hooligans”, die sich durch die Mainstream-Medien
zieht; und dies zeigt sich schließlich in der Diskreditierung und Kriminalisierung
der Bewegung seitens der staatlichen Gewaltapparate. Zum anderen wird versucht,
die Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Protestbewegung zu nutzen, um
sie zu spalten. Aufforderungen zur Distanzierung von den Gewalttaten des sog.
“Schwarzen Blocks” gehen hier einher mit Vereinnahmungsbemühungen gegenüber
gemäßigten Organisationen und den meisten Intellektuellen. Angesichts der nicht
länger zu verschleiernden, bislang jedoch vor allem symbolischen Erfolge der
Bewegung ist in naher Zukunft mit verstärkten Kooptationsoffensiven zu rechnen.
Diese werden sich vor allem an die Teile der Bewegung richten, die man vielleicht
als “außerparlamentarische internationale Sozialdemokratie” incl. ihrer grünen
und kirchlichen Strömungen bezeichnen kann. Diese besetzen die Politikfelder,
die in Deutschland mit der neoliberalen Wende von Rot-Grün aufgegeben wurden.
Für andere Länder gilt aber ähnliches. Typisch für diese Teile der Bewegung
ist die Hoffnung auf den Staat als Moderator des Globalisierungsprozesses. Diese
relative Staatsnähe macht sie anfällig für Vereinnahmungs- und Spaltungsversuche
seitens der staatlichen Apparate. Sehr wahrscheinlich ist, dass nur noch diejenigen
Organisationen finanzielle Zuwendungen erhalten, die sich von radikaleren Aktionsformen
unmissverständlich distanzieren. Ob dieses staatliche und mediale Vorgehen erfolgreich
sein wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Jedoch sind u. E. mindestens
zwei Entwicklungen vorstellbar. Erstens: Die Polizeistaatsmethoden fallen auf
ihre Urheber zurück. Bis in die konservative Presse wird eingestanden, dass
die Polizei den Bogen überspannt hat. Wenn eine relevante und zunehmend artikulationsfähige
Minderheit mittels Wasserwerfer, Tränengas und Prügelorgien von den Segnungen
des Freihandels überzeugt werden soll, dann findet das vielleicht die Zustimmung
der FAZ. Liberalere Medien geraten dadurch in ein Dilemma, das sich auf die
Formel “Für Freihandel oder für Bürgerrechte” bringen lässt – und entscheiden
sich u.U. für letztere. Auch die im Zuge von Göteborg scheinbar noch erfolgreichen
Versuche zur Spaltung der Protestbewegung könnten mit Genua einen Rückschlag
erlitten haben. Denn die an die gemäßigteren Teile gerichtete Forderung, sich
von den “Militanten” zu distanzieren, droht dann ins Leere zu laufen, wenn sich
diese Teile selbst plötzlich mit massiver staatlicher Repression konfrontiert
sehen. Die zweite denkbare Entwicklung bestünde darin, dass sich die Tendenz
eines primär repressiven Umgangs mit großen Teilen der Protestbewegung verdichtet.
Diese Strategie müsste, um dauerhaft erfolgreich zu sein, ausgeübt werden als
in Genua. Des Weiteren müsste sie von einer auf die Stabilisierung neoliberaler
Hegemonie zielenden ideologischen Offensive begleitet werden, die auch die Mitspracheangebote
an gemäßigte KritikerInnen und den ihr verbundenen Intellektuellen zu erweitern
verspricht. Der nächste Gipfelort böte hierfür gute Gelegenheiten, denn in der
Abgeschiedenheit der kanadischen Rocky Mountains könnte die Zitadellenatmosphäre
von Genua u.U. einem Klima der Vertraulichkeit weichen, in dem erlesene VertreterInnen
der globalen “Zivilgesellschaft” der Einladung zum Kamingespräch nur schwer
widerstehen würden. Der “militante Rest”, der nicht hinzu gebeten würde bzw.
sich dieser Form des “Dialogs” zu widersetzen wagte und sich damit selbst “diskreditierte”,
würde dann vertrauensvoll den staatlichen Gewaltapparaten überantwortet. Die
Spaltung der Protestbewegung ebenso wie die Delegitimierung der “nicht-dialogwilligen”
Teile innerhalb selbiger wäre geglückt. Die internationale Protestbewegung befindet
sich u. E. also in einer wichtigen Phase. Möglich ist, dass sie in einer breiteren
Öffentlichkeit Rückhalt gewinnt (ATTAC Deutschland z.B. erfreute sich in den
Tagen nach Genua laut Frankfurter Rundschau vom 27.07.01 eines starken Mitgliederzuwachses)
und dass sie sich intern festigt, dass also die brutale staatliche Gewalt zur
Solidarisierung mit und innerhalb einer äußerst heterogenen Bewegung führt.
Eine Bewegung, die sich ihrer Widersprüchlichkeit bewusst ist, kann sich in
ihrer wechselseitigen Kritik durchaus stärken. Möglich ist aber auch, dass die
Protestbewegung einen Legitimitätsverlust erleidet und dass die staatliche Repression
die internen Widersprüche verschärft. Einer dieser zahlreichen Widersprüche
ist die Haltung zur Militanz.
2. Die Rolle von Militanz in sozialen Bewegungen
Gebetsmühlenartig wird in vielen Medien behauptet, militante Aktionsformen würden
den Anliegen der Gegendemonstranten per se schaden. Behauptet wird dies in aller
Regel von denselben Medien, denen die Anliegen der GegendemonstrantInnen keine
Notiz wert sind, die bei Begriffen wie strukturelle Gewalt nur müde abwinken
und die nicht willens sind, über die katastrophalen Auswirkungen etwa der Verschuldungskrise
zu informieren. All dies ist ihnen zu abstrakt und zu theoretisch. Damit lassen
sich keine Auflagen steigern. Es sind dieselben Medien, die nach der Randale,
nach martialischen Bildern, nach dem eingeschlagenen Schaufenster und nach Blut
gieren, um sich sofort empört davon distanzieren zu können. Doch auch von vielen
Kritiker/innen neoliberaler Globalisierung wird die Position vertreten, dass
Militanz per se den politischen Anliegen von Bewegungen schadet. So schreibt
etwa Peter Wahl (taz, 16.7.01), Mitarbeiter von WEED: ”Das Gewaltthema marginalisiert
alles Inhaltliche.” Und Susan George, eine der bekanntesten GlobalisierungskritikerInnen,
formulierte unmittelbar nach Göteborg: ”Die Medien sprechen natürlich nur über
die Gewalt. Unsere Ideen, die Gründe für unsere Opposition, unsere Vorschläge
werden vollständig in den Hintergrund gedrängt... Eine Bewegung kann sich nicht
auf der Grundlage einer Jugendkultur und auf der Bereitschaft, sich verprügeln
zu lassen, entwickeln” (elektronischer Rundbrief von ATTAC Frankreich, 18.06.01).
Solche Einwände und Kritik müssen ernst genommen werden. Wie auch immer man
der Militanz gegenüberstehen mag, festzuhalten bleibt: Militanz in sozialen
Bewegungen war immer sehr widersprüchlich. Sie war seit der 68er Bewegung fester
Bestandteil sozialer Bewegungen. Sie hat des Öfteren auch dazu beigetragen,
Themen in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu bringen und somit Räume für politische
Auseinandersetzungen zu öffnen. Zu nennen wären für die BRD etwa die Häuserkampfbewegung,
die Anti-AKW-Bewegung und die Bewegung gegen die Startbahn West zu ihren Hochzeiten.
Keineswegs war es in diesen Bewegungen so, dass der Protest nur von denen getragen
wurde, die dazu bereit waren, sich verprügeln zu lassen (s. Wackersdorf). Und
in den 90er Jahren waren es vor allem Militante, die sich den neonazistischen
Aufmärschen entgegen gestellt und Flüchtlingsheime vor dem rassistischen Mob
geschützt haben. Die Militanz der Zapatisten, um ein weiteres Beispiel zu nennen,
hatte eine Fülle positiver Auswirkungen. Ihre Aktionen waren stets begründet
und vermittelbar. Ihre Militanz folgte immer dem Primat des Politischen. Sie
machte aufmerksam auf die Auswirkungen der neoliberalen NAFTA-Politik und war
auch eine Art Initialzündung für eine internationale kapitalismuskritische Protestbewegung.
In Folge der Interkontinentalen Treffen bildeten sich transnationale Netzwerkstrukturen
heraus. Von diesen profitiert die internationale Protestbewegung heute. Ein
letztes Beispiel ist die internationale Protestbewegung selbst. Mit ihrer Mischung
aus Massenmobilisierung, Entschiedenheit und Militanz hat sie es geschafft,
den Schwerpunkt der Aktivitäten in Seattle zum ersten Mal seit langer Zeit vom
Konferenzsaal auf die Straße zu verlagern. Deutlicher als zuvor werden seitdem
der gewalt- und herrschaftsförmige Charakter der Weltwirtschaft und die Rolle,
die die G-8-Staaten dabei spielen, thematisiert. Im Gegensatz zu Susan George
sind wir deshalb der Ansicht, dass auch aufgrund der in Seattle etc. angewandten
militanten Protestformen so viel über ”unsere Ideen” und ”die Gründe für unsere
Opposition” berichtet wird wie seit langem nicht mehr. Die “Zeit” schreibt in
ihrer Ausgabe vom 26.07.01: ”Genua 2001: War das die Geburtsstunde einer neuen
linksradikalen Bewegung? (...) Klar ist, dass die Ereignisse von Genua die Globalisierungskritiker
geeint und gestärkt haben. (...) Seit dem Zusammenbruch des real existierenden
Sozialismus 1989 hatte die neoliberale Wirtschaftstheorie nahezu unangefochten
den Ton vorgegeben. War es überhaupt nicht chic, nach den Schattenseiten von
Globalisierung, Flexibilisierung und Rationalisierung zu fragen. Nun aber etabliert
sich wieder ein linker, antikapitalistischer Diskurs, der bis weit in die Bevölkerung
hinein Sympathie findet. (...) Die Globalisierungskritiker sind im Aufwind,
und der radikale Flügel hat ihr Anliegen in die Schlagzeilen gebracht. Erinnert
sich noch jemand an den Weltwirtschaftsgipfel vor zwei Jahren in Köln? Damals
hatten 40 000 Protestierer friedlich für dieselben Ziele demonstriert wie jetzt
in Genua - große Aufmerksamkeit wurde ihnen nicht zuteil. (...) Gewalt, kein
legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung, hat die Mobilisierung
sozialer Bewegungen schon oft vorangetrieben.” Wie gesagt, man kann dies bedauern
oder nicht. Aber man sollte nicht einfache Kausalketten wie Wahl und George
herstellen, die der Überprüfung nicht standhalten. Allerdings kann nicht verschwiegen
werden, dass es auch in Genua Aktionsformen gab, die nicht akzeptiert werden
können. Jede Aktionsform trägt ein hohes Maß an Verantwortung für andere in
sich. Dieser Grundsatz wurde des Öfteren missachtet. Einige Militante haben
andere DemonstrantInnen als Schutzwall missbraucht; andere haben Bankfilialen
angezündet, die sich in Wohnhäusern befanden (s. taz vom 1.8.01). Wieder andere
haben kleine Läden geplündert und Tankstellen angezündet. Dies waren beileibe
nicht nur Polizeiprovokateure, die es, wie Foto- und Filmaufnahmen eindeutig
belegen, gegeben hat. Unsere Kritik gilt aber auch den Kommentaren auf einigen
Internetseiten, die für eine Ausweitung der Militanz plädieren. Wir können nicht
beurteilen, wie repräsentativ solche Aussagen sind. Solche Beiträge lassen sich
u.E. nur als unmittelbare Reaktionen auf die schockartigen Eindrücke von Genua
erklären. Denn eins sollte klar sein: Auf dieser Ebene kann es nur einen Sieger
geben. Trotz dieser Kritik kann es angesichts der Ereignisse von Genua kann
es nicht darum gehen, in voraus eilendem Gehorsam und im zweifelhaften Bemühen,
die “eigentlichen Anliegen” der Bewegung davor zu bewahren, diskreditiert zu
werden, sich in Distanzierungen von der Militanz gegenseitig zu überbieten.
Dies käme einem Steilpass auf die Regierenden und ihre massenmedialen Unterstützer
gleich. Es würde bedeuten, sich auf deren Spielfeld zu begeben und sich den
herrschenden Spielregeln anzupassen und damit eben den Weg zu verlassen, der
in Seattle eingeschlagen wurde und der die Stärke der Bewegung bislang ermöglicht
hat. Solche Distanzierungen würden auch den medial vermittelten Eindruck verstärken,
als hätten sich in Genua linke und staatliche Gewalt gegenseitig aufgeschaukelt
und die Eskalation der Gewalt seitens der Polizei wäre eine Folge dieses Aufschaukelungsprozesses.
3. Die internationale Protestbewegung nach Genua
Die staatliche Gewalt hatte - ebenso wie die Kriminalisierungsversuche im Vorfeld
des G-8-Gipfels - zum Ziel, die internationale Protestbewegung einzuschüchtern,
zu schwächen und zu delegitimieren. Es besteht allerdings die begründete Aussicht,
dass dies nicht wie gewünscht gelungen ist. Infolge dieser Ereignisse sehen
wir drei Herausforderungen, die sich der internationalen Protestbewegung jetzt
stellen. Erstens muss man die staatliche Gewalt von Genua zum Anlass nehmen,
die Kritik und den Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung und die Institutionen,
über die diese sich durchsetzt, voranzutreiben. Neoliberale Globalisierung richtet
sich nicht nur gegen die “Dritte Welt”; die internationale Protestbewegung ist
nicht einfach der “Anwalt” der Menschen im Süden, als der sie in nahezu allen
Medien immer dargestellt wird. Neoliberale Globalisierung, so die zentrale Botschaft
der staatlichen Repression vor und während Genua, geht vielmehr mit dem gewaltförmig
sich vollziehenden Abbau von sozialen und politischen Rechten weltweit einher;
und die Protestbewegung ist folglich Ausdruck eines globalen Kampfes für eine
radikale Demokratisierung, die eine grundlegende Veränderung des bestehenden
nationalen und internationalen Institutionengefüges erfordert. Zweitens halten
wir es für erforderlich, dass die internationale Protestbewegung ihr Verhältnis
zum Staat grundlegend überdenkt. Bisher dominiert eine Tendenz, die wir hier
als “internationale außerparlamentarische Sozialdemokratie” bezeichnen. Dieser
durchaus widersprüchlichen Strömung gehören die meisten NGOs, Bewegungen wie
ATTAC und viele Intellektuelle an. Merkmal dieses derzeit dominanten Teils der
Protestbewegung ist eine etatistische Grundorientierung, d.h. eine Ausrichtung
auf die staatlichen Institutionen. Diese geht einher mit einem konsens- und
dialogorientierten Politikverständnis. Man hofft auf staatsinterventionistische
Maßnahmen, um den angeblich über die Ufer getretenen Weltmarkt wieder zähmen
zu können. Man beklagt die Auswüchse des Kapitalismus, die vor allem in der
Expansion der internationalen Finanzmärkte sichtbar seien und stellt dem relativ
technokratische Steuerungsmodelle wie die Tobin-Tax entgegen. In ihren Forderungen
repräsentiert sie das Programm des ehemaligen Finanzministers Lafontaine (s.
FR 7.8.01, S.5). Die Bedeutung dieser Strömung besteht darin, wichtige Fragen
auf die Tagesordnung gesetzt und so aufbereitet zu haben, dass sie eine hohe
Mobilisierungswirkung entfalten. Diese Wirkung wird aber mit einem reduzierten
Kapitalismus- und Staatsverständnis erkauft. Der Staat wird als prinzipiell
neutrales Terrain betrachtet, das nur von den fortschrittlichen Kräften besetzt
werden muss, um den “entfesselten” Kapitalismus wieder an die Leine nehmen zu
können. Eine solche Herangehensweise war schon vor Genua problematisch, zeigt
doch die neoliberale Globalisierung, dass die Chancen äußerst gering sind, über
den Staat Veränderungen im progressiven Sinne zu erreichen,. Nach Genua ist
eine solche Position noch problematischer geworden. Lässt sich anschaulicher
als dort zeigen, dass die staatlichen Instanzen - trotz aller internen Widersprüche
- nicht gegen den vermeintlich entfesselten Markt in Stellung gebracht werden
können? Der neoliberale Kapitalismus wird vielmehr durch sie mit Gewalt durchgesetzt
und verteidigt. Wir sehen innerhalb der Protestbewegung eine weitere Strömung,
die dem Rechnung zu tragen versucht. Es handelt sich um die mehr aktionsorientierten,
explizit anti-etatistischen und anti-institutionalistischen Netzwerke, die in
den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Im Gegensatz zur ersten Strömung
thematisiert diese Gewalt- und Machtverhältnisse grundsätzlich, seien diese
kapitalistischer, rassistischer oder patriarchaler Art. Ihren Ausgangspunkt
fand diese Strömung in den zapatistischen Treffen. Die Zapatisten hatten deutlich
gemacht, dass Widerstand gegen den Absolutheitsanspruch des Neoliberalismus
möglich ist. Das “Ende der Geschichte” war eben nicht erreicht. Das “Ya basta
- Es reicht, wir wehren uns” der Zapatisten wirkte dabei als Triebfeder für
neue internationale Vernetzungsversuche. Eine ihrer Organisationsformen ist
PGA (Peoples Global Action), ein weltweit operierendes Bündnis. Bedeutend für
diesen Teil der Bewegung ist, dass sie - insbesondere in westeuropäischen Ländern
- vor allem von vielen jungen Leuten getragen wird, deren biographische Erfahrungen
sich fundamental von denen älterer AktivistInnen unterscheiden. Für die BRD
heißt dies: das Scheitern des autoritären Sozialismus und die damit einhergehende
fast vollständige Marginalisierung auch undogmatischer Linker ist ebensowenig
Teil ihrer Lebenszeit wie die desillusionierende und desaströse Entwicklung
der Grünen, die für viele Altlinken ein wichtiger Bezugspunkt in den letzten
beiden Jahrzehnten waren. Die Grünen sind für sie definitiv kein Bezugspunkt
mehr - ebensowenig die PDS, abgesehen von eher taktischen Bündnissen. Äußerungen
wie die von Außenminister Fischer, dass man in Genua eigentlich “eine Demonstration
der Freude veranstalten” müsse, weil “die Frage nach der gerechteren Welt Thema
des Gipfels” (Spiegel 30/2001) ist, ernten zu Recht nur noch Spott. Eine neue,
junge Oppositionsbewegung, die “hungrig ist auf Opposition gegen den globalen
Kapitalismus, der die Kosten eines Erfolgs allzu gerne externalisiert” (Woche
vom 27.7. S. 7), könnte somit tatsächlich im Entstehen sein. Dass es in diesen
Strömungen theoretische Schwächen gibt, ist nicht zu verkennen. Damit ist nicht
das von den Medien immer wieder beklagte Fehlen einer gebrauchsfertigen Alternative
zur neoliberalen Globalisierung gemeint. Im Gegenteil: Dieser “Mangel” ist u.
E. eine Stärke. Gesellschaftliche Entwürfe entstehen in Auseinandersetzungen
und lassen sich nicht am Reißbrett planen und in klar aufeinander folgenden
Schritten und Etappen umsetzen. Richtig ist jedoch, dass es bislang oft an einem
Begriff dessen fehlt, wogegen sich der Protest richtet. Stattdessen scheint
ein eher diffuses Unbehagen am nicht weiter durchdrungenen Neoliberalismus vorzuherrschen,
das es Kritikern leicht macht, die Anliegen der Protestbewegung als wohlmeinend-weltfremde
Spinnereien abzutun. Auch hier ist eine Auseinandersetzung mit so grundlegenden
Kategorien wie “Staat” und “Kapitalismus” angesagt, die gerade angesichts von
Genua neue Nahrung erhalten sollte. Drittens erscheint uns eine stärkere Verankerung
der Protestbewegung vor Ort erforderlich. Dies betrifft vor allem die BRD. Der
Zustand der internationalen Protestbewegung und ihrer Teile zeigt sich von Land
zu Land sehr unterschiedlich. Deutschland stellt aus diversen Gründen, auf die
hier nicht näher eingegangen werden kann, in vielen Punkten ein Schlusslicht
dar. Hier verbietet es sich noch, von einer Bewegung zu sprechen. Denn hier
kontrastiert die Dynamik, die die Bewegung auf internationaler Ebene offensichtlich
erlangt hat, auffallend mit dem nahezu völligen Stillstand in den alltäglichen
Zusammenhängen, in denen sich viele ihrer AktivistInnen bewegen: den Universitäten,
den Betrieben, den Stadtteilen. Die Folgen einer kapitalistischen Globalisierung
müssen nun wieder in den konkreten Lebenszusammenhängen thematisiert werden:
der Leistungszwang, das Funktionieren-Müssen, die Vorherrschaft des Marktes
in den Köpfen, das TINA-Denken (There is no Alternative), das Konkurrenzdenken,
der Ausschluss derjenigen, die sich das Recht nehmen, weniger als 12 Stunden
am Tag zu arbeiten. Hier ist der Aufbau entsprechender Strukturen vonnöten,
die dem internationalen Protest einen stärkeren Rückhalt und mehr Kontinuität
verleihen würden und auch gegenüber staatlicher Repression weniger anfällig
und angreifbar wären. Eine Konzentration der Anstrengungen auf internationale
Großereignisse trägt nur eine kurze Zeit. Protestbewegungen waren immer nur
so stark, wie sie vor Ort verankert waren.
Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft des Bundeskongress entwicklungspolitischer
Aktionsgruppen (BUKO)
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