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Graue Wölfe (Saigon)

 

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Es ließ sich nicht leugnen, daß es hier eine Menge abgezockter, ausgelutschter "dirty people" gab, alte Underdogs, die auf dem letzten Loch pfiffen - man sah es ihren verbeulten Gesichtern an -, die keine Chance mehr hatten und sich ohne Ziel im Ersten Bezirk von Saigon herumtrieben. Abgewrackte ältere Franzosen, aber auch stiernackige Ex-GIs mit eingeschlagenen Nasen von allen Kämpfen in dieser Welt. Fremdenlegionäre von einst, Ex-Dien Bien Phu-Veterane, ruhmlose Verteidiger von Danang, Verlierer von gestern, vergessen heute, abgedriftet ins soziale Abseits.
Sie waren gefährlicher als die kleinen Kiez-Ganoven vom Ersten Bezirk, die bei den Touristen nur einen kleinen Deal landen wollten, denn die Underdogs aus dem Westen lagen geduldig wie Hyänen auf der Lauer und warteten darauf, den Schwachen bis auf die Knochen auszunehmen. Was sagte Puschkin?: "Wo ein voller Trog ist, stellen sich die Schweine von selber ein..." Das schien für beide Gruppen zu gelten. Vorsicht war einmal mehr gegenüber weißen Aussteigern angebracht, war die Mutter der Porzellankiste.
So verhielt es sich am Jahresende im Ersten Bezirk. Mancher Bodensatz sammelte sich an. Manches Böse bahnte sich an, faßte Fuß, nicht zuletzt die Aasgeier, die geflattert kamen und geduldig auf den Leichenfraß warteten. Weshalb sollte es hier anders sein? Wie hieß der Aufdruck auf den T-Shirts, die man für einen Dollar kaufen konnte? "Good morning, Vietnam!" Auf zu einem neuen verhängnisvollen Abenteuertrip durch das kaum vernarbte Land!

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Aber es waren auch liebenswerte alte Fregatten auf ihrer letzten Fahrt hier zu Anker gegangen. Alte Beachcomber, weißhaarige Strandläufer, harmlose, zahnlose Wölfe mit glanzlosen Augen, mit Mollenfriedhöfen, die sich stattlich wölbten, eindeutig über dem Limit lagen. Ergrautes, geschwächtes Leben, nun ohne neuen Frühjahrsanstrich. Rost blieb Rost, ließ man Rost bleiben, was die alten Fregatten mit einem Hauch von morbidem Charme versah. Sie wußten das, und sie spielten ihren Charme gekonnt aus in den Bars im Ersten Bezirk. Er war ihre letzte Chance, und auch das wußten sie. Sie hatten "Lebenserfahrung" und nutzten sie, indem sie bei Bier und Tanz sacht mit dem Kleingeld in der Hosentasche klimperten.
Das kam immer an, vor allem im armen Ersten Bezirk bei einem Blues von Memphis Slim oder Muddy Waters, und eigentlich war für die alten Fregatten alles im Lot. Man lief nicht Gefahr, auf Grund zu laufen oder gar zu stranden. Kein Taifun drohte, denn es war Trockenzeit. Und die jungen Mädchen waren sauber, die Prostituierten erschwinglich, und der Bierpreis war okay. In Europa gab es für die alten Fregatten keinen festen Ankerplatz mehr. Hin und wieder schienen sie sich daran zu erinnern. Dann umwölkte dumpfes Brüten ihre faltige Stirn, hoben sie besonders lärmend ihre Flasche TIGER BEER: "Three cheers! Damned!"