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Rocket City (Danang)

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John Strausberg mietete ein altes Fahrrad und fuhr zum Han-Fluß hinunter. Er setzte mit der alten Motorfähre aus Kolonialzeiten zum Ostufer über und folgte der asphaltierten Küstenstraße, die über achtundzwanzig Kilometer bis zum verträumten Ort Hoi An führt. Am Ende der Stadt passierte er die verlassenen Anlagen der amerikanischen Air Base, die sich über Kilometer zwischen Küste und Straße entlang ziehen: Befehlsbunker, betonierte Unterstände, Kasematten, leere Hangare der Jagdbomber, unbesetzte Wachttürme. Vor Jahr und Tag sollen hier noch Panzerwracks und zerstörte Flugzeuge gestanden haben - alles eingefaßt von hohen Betonmauern und rostendem Stacheldraht.
Hanoi machte sich nach dem gewonnenem Krieg und der Flucht des Feindes nicht die Mühe, die eroberte Base zu zerstören und die provokanten Anlagen zu sprengen. Alles liegt unter der grellen Tropensonne im maroden Zustand: brüchig, rissig der Beton; zerbrochen und verfallen die Gebäude, überwuchert von Gras und Unkraut: Ein beeindruckendes Mahnmal des wahnwitzigen Krieges. Vielleicht hatte man erbeutetes Kriegsmaterial vor Jahr und Tag endlich verschrottet. Und vielleicht hatte man die Trümmer der Air Base nur deshalb stehen gelassen, um dem Volk das ganze Ausmaß der verheerenden Niederlage des Saigoner Vasallenregimes eindringlich vor Augen zu führen, um zu dokumentieren: So ergeht es jedem, der uns angreift! Nur das Treibstofflager der ehemaligen Air Base hatte man übernommen, die Tanks in Silber gestrichen. PETROLIMEX prangte nun in großen, schwarzen Lettern an den Tanks.
Die Amerikaner verloren ihre kostspieligen Kriegsinvestitionen in Form von Brücken, Flugplätzen, mächtigen künstlichen Häfen wie Cam Ranh. Sie verloren in Vietnam die Ausrüstung einer ganzen Armee - die der Saigoner Vasallen - an Nordvietnam: ein ebenso sinnloses wie kostspieliges Kriegsunternehmen. (Kothmann/Bühler; 'Vietnam-Handbuch')
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Unweit der zerfallenden Air Base ragen in Sichtweite der verlassenen Camps fünf imposante Bergkegel aus den jungen Reisfeldern empor: die Marmorberge - Marble Mountains. Will man den Kriegsberichten glauben, gelang es den Amerikanern nicht, die Vietnamesen aus den Bergen um Danang zu vertreiben. Über Jahre lagen die Air Base und die anderen militärischen Anlagen unter fortwährendem NLF-Beschuß. Die Amerikaner nannten Danang "Rocket City".
Eine Gedenktafel in einer Grotte des 'Son Thuy'-Berges, des Wasserberges, erinnert heute an Soldaten der NLF, die von der Bergspitze neunzehn amerikanische Helikopter abschossen. (Kothmann/Bühler; 'Vietnam-Handbuch').Danang wurde im Krieg immer wieder eingeschlossen und von der NLF angegriffen. Den Amerikaner gelang es nicht, das Umland zu erobern. Viele Soldatenfriedhöfe und Mahnmale um Danang zeugen von schweren, verlustreichen Kämpfen; Denkmäler auf dem offenen Land von gewonnenen Schlachten der NLF.
Die Amerikaner zogen ab, und fünfundzwanzig Jahre später hält John Strausberg Einzug in Danang, nicht geschätzt und argwöhnisch beäugt vom lokalen Politbüro. Er sonnt sich an der berühmten China Beach und nimmt eine Massage im ehemals amerikanischen Beach Resort. Vorbei sind die Tage, ...als sich hier kriegsmüde GIs auf 'rest & recreation'-Urlaub tummelten. Ein Ort, an dem sie schwimmen und surfen, sich besaufen, kiffen, bumsen, in Puffs rumflippen [...] konnten. (Michael Herr, 1968). Die NLF-Kader, die von den Marmorbergen aus zusahen, werden ihre Freude gehabt haben. (Kothmann/Bühler; 'Vietnam-Handbuch'). Aber die GIs zogen es in der Regel vor, am sicheren Thanh Binh- oder My Khe-Stadtstrand von Danang zu baden.

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Am Nebentisch sitzt ein korpulenter, stiernackiger Texaner. Er hat den obligatorischen Cowboy-Hut lässig in den Nacken geschoben und starrt mit verkniffenem Mund auf die China Beach. Dabei raucht er nervös eine Zigarette nach der anderen. Der breite Lederriemen unter dem energischen Kinn verhindert, daß die steife Brise ihm den Hut vom Kopf reißt. Das verleiht seiner Physiognomie eine kämpferische Note: Er ist ein Vorposten auf einsamer Wacht in Erwartung der angreifenden NLF.
"Ich war hier Soldat!", sagt er und lehnt sich zu seinem Nebenmann rüber, "damals haben wir hier an der Beach unseren verdammten Urlaub verbracht, bevor es wieder in die Berge in den Dschungel Richtung Laos ging. Ich hab Dusel gehabt. Meinen Kamerad erwischte eine Garbe der Vietcong - Kalaschnikow! - Aus!" Der Texaner schlägt mit der Faust auf den Tisch. Dabei starrt er angestrengt in die Runde, als gelte es immer noch einen Angriff der NLF abzuwehren und den Tod des Kameraden zu rächen. Armefuchtelnd dreht er sich um und beginnt zu lärmen: "Noch ein BGI Bier, aber kalt! Damned!..."