"In unserem Dorf regieren wir!" - Widerstand gegen Staudammprojekte am Narmadafluß, Indien
Foto: Saline/Umbruch Bildarchiv

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"In unserem Dorf regieren wir!"

 
 

Ende der 80er Jahre schlossen sich DorfbewohnerInnen aus dem Narmadatal und der Nimarebene in der Widerstandsbewegung Narmada Bachao Andolan (NBA, Bewegung zur Rettung der Narmada) zusammen, um ihre Proteste gegen den Sardar Sarovar Staudamm gemeinsam zu organisieren. Bis in die Gegenwart hat sich dieser Zusammenschluß weit über eine Ein-Punkt-Bewegung hinaus entwickelt. Heute treten die BewohnerInnen des Narmadatals zudem für eine soziale und ökologisch nachhaltige Entwicklung ein und kämpfen dafür, dass die lokale Bevölkerung über die Entwicklung vor Ort entscheiden kann. Dies bringen sie in ihrem Slogan "hamare gaon me -hamare raj" (In unserem Dorf regieren wir!) auf den Punkt. Neben diesem "Zusammenkommen der roten und grünen Agenda"- in den Worten Medha Patkars, einer wichtigen Sprecherin der Bewegung, kämpfen sie somit auch um ihre und die Emanzipation anderer marginalisierter Gemeinschaften. Sie sind größtenteils Angehörige von Adivasi (indigenen) Gemeinschaften und KleinbäuerInnen, die jeweils an den Rand der indischen Mainstream-Gesellschaft gedrängt wurden. Der kontinuierliche und kreative Widerstand hat die NBA in Indien zu einer der bekanntesten Widerstandsbewegungen gegen das neoliberale Entwicklungsparadigma gemacht und AktivistInnen und soziale Bewegungen auf der ganzen Welt inspiriert.

Geschichte der Bewegung
Schnell zeigte sich für die Gemeinschaft(en) im Narmadatal und der Nimarebene, dass sie sich Gehör verschaffen mussten, um ihre Lebensgrundlage und ihren Lebensstil zu verteidigen. Das Sadar Sarovar Projekt war von weit entfernt lebenden Technokraten und Bürokraten geplant worden, ohne die betroffenen Gemeinschaften vor Ort auch nur über den Megaplan zu informieren, geschweige denn ihnen ein Mitspracherecht einzuräumen. Erst später wurden Pläne für ihre Umsiedlung entwickelt, wobei ein Großteil der Familien einfach ignoriert wurde. Komplette Dörfer, die in der Überflutungszone des Sardar Sarovar Dammes liegen, tauchten in den offiziellen Unterlagen nicht auf und besaßen von daher auch keine Rehabilitationsansprüche. Für die Adivasis (indigene Gemeinschaften) im Narmadatal und die (Klein-)BäuerInnen in der Nimar-Ebene gab es viel zu lernen. Innerhalb weniger Jahre wurden die Gemeinschaften in die Realität eines neoliberal geprägten 21. Jahrhunderts katapultiert. Viele von ihnen hörten das erste Mal von den indischen Regierungen, ihrer Macht in der Hauptstadt, von multinationalen Unternehmen und internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank. Sie erfuhren auch, was mit anderen Familien passiert war, die in Indien aufgrund von Infrastrukturprojekten vertrieben wurden. Für die meisten bedeuteten die Projekte den sozialen und ökonomischen Abstieg. Viele mittelständische Familien wurden zu armen KleinstbäuerInnen und viele Adivasi- und Dalit-Familien landeten in den Slums von Großstädten. Zudem mussten die Regierungen vor ihnen einräumen, dass eine Land-für-Land Entschädigung, auf die sie einen formalen Anspruch besaßen, aufgrund von Landknappheit nicht realisierbar ist. Deshalb begannen sie den Staudamm zu bekämpfen. Dabei formierte sich die Narmada Bachao Andolan (NBA, Bewegung zur Rettung der Narmada). Die Bewegung entstand Ende der 80er Jahre in der Überflutungszone des Saradar Sarovar Staudammes. Später weitete sie sich auf andere Staudammgebiete entlang des Narmadaflusses aus.

Die NBA konnte verschiedene wichtige Teilerfolge erzielen. Dies gelang durch die Kombination von Protestaktionen innerhalb und außerhalb des Narmadatals, dem juristischen Weg und durch die Solidarität von anderen sozialen Bewegungen, NGOs und Individuen aus dem In- und Ausland. Immer wieder konfrontierte die NBA die Verantwortlichen der verschiedenen Projekte mit Protestaktionen. Dazu zählten die beteiligten Unionsregierungen ebenso wie die Weltbank, verschiedene ausländische Regierungen (im deutschen Kontext war z. B. für den Maheshwar Staudamm eine Hermes- Bürgschaft im Gespräch), private Unternehmen (darunter Siemens, die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfahlen und Bayernwerk) und schließlich auch Verantwortliche in der indischen Justiz und Bürokratie. Zu ihren wichtigsten Erfolgen zählt der Ausstieg der Weltbank beim Sardar Sarovar Projekt und ein mehrjähriger Aufschub der Bauarbeiten dort durch eine Anordnung des Obersten Gerichtshofs. Ausserdem erreichten sie den Ausstieg verschiedener multinationaler Unternehmen beim Maheshwar Staudamm, darunter Siemens und die Hypovereinsbank.

Trotz drohender Überflutung weigerten sich die Familien, das Narmadatal zu verlassen. Gleichzeitig be- bzw. verhinderten sie Untersuchungen für das Staudamm-Projekt. Das Narmadatal wurde zum Knotenpunkt für AktivistInnen aus der ganzen Welt, um Erfahrungen und Ideen auszutauschen und weiter zu entwickeln.

Außerhalb des Narmadatals organisierte die NBA unzählige Demonstrationen, Baustellenbesetzungen, Straßenblockaden, Proteste vor verschiedenen Botschaften und eine Vielzahl von Hungerstreiks. Sie besetzte verschiedene Ministerien, und organisierte geharos. Das ist eine indische Protestform, bei der die Verantwortlichen von Protestierenden so lange umzingelt werden und ihre Büros belagert werden, bis den gestellten Forderungen nachgekommen wird. Immer wieder wurden die AktivistInnen dabei massiv mit Repression konfrontiert. Außerdem beteiligten sich einzelne AktivistInnen der Bewegung bei verschiedenen internationalen Protesten gegen eine neoliberale Globalisierung, wie beispielsweise bei den Protesten anlässlich des G8 Gipfels (1999) in Köln oder gegen den Gipfel der WB und dem IWF (2000) in Prag und in verschiedenen indienweiten und internationalen Netzwerken.

In Indien und darüber hinaus wurde die Bewegung schnell zu einem wichtigen Symbol dafür, dass aktiver Widerstand von marginalisierten Gemeinschaften gegen den neoliberalen Schulterschluss globaler Finanzinstitutionen, multinationaler Unternehmen und der indischen wirtschaftlichen und politischen Elite möglich ist und erfolgreich sein kann.

Trotz des Widerstands und der internationalen Solidarität konnten die (weiteren) Bauarbeiten an einigen der Staudämme im Narmadatal nicht verhindert werden. An verschiedenen Staudammprojekten wurden bereits Zehntausende AnwohnerInnen vertrieben. Ein Großteil davon erhielt keine oder nur einen geringen Teil der offiziell versprochenen finanziellen Kompensationszahlungen und viele warten, zum Teil schon seit Jahrzehnten, auf ihre Land-Für-Land Entschädigung. Auch in diesem Jahr organisiert die NBA deshalb ein Protestcamp in der Sardar Sarovar Region. Noch immer bedarf es auch der Solidarität von Außen. Der Kampf der Bewegung für die Rechte der lokalen Bevölkerung und gegen eine neoliberale Entwicklung geht weiter. - saline - kontakt: saline@riseup.net