Umbruch Bildarchiv: Nicaragua
Foto: Teresa Treiber I Text: Eberhard Albrecht

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Der Pakt, die Ehefrau und ein Kardinal
Nicaragua unter Daniel Ortega


Mit von großem Unbehagen zeugenden Worten zog die Zeitschrift "envio" Bilanz nach 100 Tagen Regierung Daniel Ortega und traf damit genau die Stimmung im Land. (ea)
Zitat: "Ein anti-neoliberaler Diskurs koexistiert mit der Bindung an die neoliberale Politik des IWF. Gegenüber den USA wird gleichzeitig die Konfrontation gesucht und deren Wohlwollen. […]. Mit ALBA (1 ) und mit CAFTA ( 2) lebt man. Die Macht soll in den Händen der Bürger_innen liegen, wird aber von einer Familie organisiert. Das regierende Paar handhabt all diese Widersprüche nicht vom Präsidentenpalast aus, sondern von der eigenen Wohnung, die gleichzeitig Parteizentrale ist. Die Revolution, die sie
propagieren, ist "spirituell" und fördert das kulturelle Zurück. Das Einzig was klar ist, ist der "Pakt", und, dass die Personen an den Spitzen des Machtdreiecks die gleichen bleiben." (envio, April 2007)
Auch andere Organisationen, die als progressiv bekannt sind und die sandinistische Regierung mit Wohlwollen begrüßt hatten, sparen nicht mit Kritik. Zum Beispiel fielen in der Stellungnahme von Vilma Núñez, vom Menschenrechtszentrum CENIDH (4 ), viele harte Worte, wie Geheimniskrämerei, autoritär, zentralistisch und eine schädliche Vermischung von Staat, Partei und Familie.

Fulminanter außenpolitischer Start
Die neue Regierung war am 10. Januar 2007 mit großem Elan gestartet. Schon bei den Feierlichkeiten zur Amtseinführung setzte Daniel Ortega außenpolitische Zeichen, die in der Ankündigung gipfelten, dass sich Nicaragua dem Wirtschaftsbündnis ALBA anschließen werde. In diesem Rahmen sind eine ganze Reihe von Kooperationsabkommen unterschrieben worden, die zeigen, dass Venezuela Nicaragua in Zukunft großzügig unterstützen wird, z.B. im Gesundheits- und Bildungswesen sowie der Infrastruktur. Außerdem will Venezuela eine Erdölraffinerie bauen. Und dass dies alles keine leeren Versprechungen sind, beweisen die Stromgeneratoren, die Venezuela inzwischen geliefert hat und die den Stromsperren der letzten zwei Jahre hoffentlich ein Ende setzen werden. All dies ist ein Beispiel für eine neue Außenpolitik, die weg will von der Abhängigkeit von den USA, ebenso wie die Kooperationsabkommen der Regierung Ortega mit dem Iran und Taiwan.. Mit Kuba wurden die eingefrorenen diplomatischen Beziehungen reaktiviert. Auch in der Innenpolitik setzte Ortega deutliche Akzente, die auf große Zustimmung stießen. Verbesserungen im Erziehungs- und im Gesundheitswesen und Initiativen bei der Bekämpfung der Armut sollen der von den neoliberalen Vorgängerregierungen vernachlässigten Bevölkerungsmehrheit nützen. Der Erziehungsminister Miguel de Castilla hat schon am Tage seines Amtsantritts die Kostenfreiheit im öffentlichen Erziehungswesen wieder eingeführt. Unter dem Druck der Weltbank war 1992 die so genannte "Schulautonomie" eingeführt worden: Schulen erhoben seither eigenständig Gebühren für Einschreibungen, Prüfungen usw. Wo es möglich ist, versucht die Regierung Ortega an die Erfolge der 1980er Jahre anzuschließen. So soll im Juli wieder eine nationale Alphabetisierungskampagne beginnen. Auch im Gesundheitswesen will man an die Erfolge von vor 20 Jahren anknüpfen. Unter der neuen Ministerin und ehemaligen Krankenhausärztin Maritza Cuan sollen auch hier der Bevölkerung alle Leistungen wieder kostenlos zur Verfügung gestellt werden, flankiert von Einsparungen durch eine konsequente Umstellung der öffentlichen Medikamentenversorgung auf Generika. Sehr erwähnenswert ist auch das neu geschaffene Programm "Null Hunger", ein ambitioniertes Programm zur Bekämpfung der extremen Armut unter der Landbevölkerung. Im Laufe von mehreren Jahren sollen dadurch 75 000 Familien eine sichere Selbstversorgung ermöglicht werden. Im Mai 2007 begann das Programm in einer indigenen Gemeinde des Nordens.

Machtkonzentration in den Händen des Präsidentenpaars
Neben den geschilderten erfreulichen Initiativen, die eindeutig die Verbesserung der Lebenssituation des ärmeren Teils der Bevölkerung anstreben, ist die Regierung aber auch mit politischen Vorstößen aufgefallen, die bei vielen Besorgnis erregen. Dabei handelt es sich um Veränderungen am politischen System, die alle zu einer stärkeren Konzentration der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Ehefrau Rosario Murillo geführt haben. Die auffallendste Änderung an der Kabinettsstruktur ist, dass Ortega das Verteidigungsressort nicht besetzt hat. Sowohl das Heer als auch die Polizei sind jetzt ihm direkt unterstellt. Mit vier neu geschaffenen Räten, die auf den verschiedenen Ebenen vom Stadtteil bis zur nationalen Ebene installiert werden, will die FSLN zu einer direkteren und partizipativeren Form der Demokratie gelangen. Aus verschiedenen Gründen haben dabei die "Räte für Kommunikation und Staatsbürgerschaft" (Consejos de Comunicación y Ciudadanía) große Beunruhigung hervorgerufen. In erster Linie, weil Ortega seine Ehefrau mit der Leitung des Gremiums auf der nationalen Ebene beauftragt hat, obwohl ein Gesetz existiert, welches die Anstellung von Ehepartnern und Familienangehörigen explizit untersagt. Noch bedenklicher ist die Machtfülle des neuen Amtes. Als Ratsvorsitzende kontrolliert Rosario Murillo die gesamte Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. Man kann ihre Bedeutung in der Regierung kaum überschätzen, zumal Daniel Ortega die Rolle seiner Ehefrau einmal mit den Worten charakterisiert hat: "50 Prozent für Rosario, 50 Prozent für mich". Auch die Vorgehensweise bei der Konstituierung der Räte wurde allgemein kritisiert, denn die Räte werden von den entsprechenden Gremien der FSLN installiert, tagen in den Parteibüros der FSLN und Bürger_innen, die der FSLN fern stehen, haben keine Chance, an dem teilzunehmen. Schlimmer noch: An manchen Orten werden existierende Mitsprachemöglichkeiten eingeschränkt, indem die FSLN kommunale Entwicklungskomitees aufzulösen versucht.

Der Pakt lebt
Die geschilderten Änderungen am politischen System erforderten Anpassungen bei einigen Gesetzen, d. h., sie mussten vom Parlament gebilligt werden. Die FSLN, die nur über 38 der 92 Sitze verfügt (5 ), konnte sich bei kontroversen oder sehr wichtigen Entscheidungen, wie zum Beispiel bei der Verabschiedung des Haushalt bisher immer auf die Stimmen der PLC (6 ) verlassen. Der Pakt zwischen den beiden Parteiführern Daniel Ortega und Arnoldo Alemán (PLC) ist also weiterhin die bestimmende Größe in der nicaraguanischen Politik. Inzwischen hat sich Alemáns Situation als Häftling, der wegen Korruption zu 20 Jahren Haft verurteilt ist, weiter zu seiner Zufriedenheit geändert. Der "Hausarrest", der ihm aus medizinischen Gründen zugestanden worden war, wurde im März 2007 von der Strafvollzugsbehörde völlig unbegründet auf das ganze Land ausgeweitet.. Nutznießer dieser Entscheidung ist auf jeden Fall Daniel Ortega. Der "kranke" Ex-Präsident Alemán tourt munter durch das ganze Land und zementiert damit die andauernde Spaltung der rechten Opposition in den Alemán-treuen Flügel der PLC und die neoliberale USA-hörige Gruppe ALN (7 ). Die Zerrissenheit der Rechten wiederum ist notwendige Voraussetzung für die Wiederholung des Sieges der FSLN bei den nächsten Präsidentschaftswahlen.

Verhandlungen mit dem IWF
Die große Unbekannte in den Plänen Daniel Ortegas ist bisher die Wirtschaftspolitik. Wie sollen die erwünschten Verbesserungen im Erziehungs- und Gesundheitswesen finanziert werden? Dies ist eigentlich nur über höhere Haushaltsmittel möglich. Woraufhin sich sofort die Frage stellt, wie dem IWF eine Ausgabensteigerung abgerungen werden soll. Auf diese Fragen gibt es zwar bisher keine offiziellen Antworten der Regierung, aber einige Indizien, in welche Richtung die Regierung gehen will. Leider verschaffen diese Indizien aber keine Klarheit. Die anstehenden Neuverhandlungen mit dem IWF haben im März 2007 begonnen. Wie unter den Vorgängerregierungen laufen die Verhandlungen mit sparsamsten Informationen für die Öffentlichkeit praktisch im Geheimen ab. Schlüsse aus diesen Verhandlungen auf die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Regierung Ortega zu ziehen, ist nicht möglich. Aufschlussreicher war hingegen die Verabschiedung des Haushalts 2007. Die Regierung hat an dem Haushaltsentwurf der Vorgängerregierung Umschichtungen von rund 5% vorgenommen. Diese 5% machen deutlich, wie die Regierung Ortega ihre finanziellen Möglichkeiten selbst einschätzt und dass keine Wunder von ihr erwartet werden dürfen. Vor allem war es der Regierung wichtig, einen Haushalt vorzuweisen, der die Verhandlungen mit dem IWF nicht zu sehr belasten würde. Längerfristig hat die Regierung aber den Plan, ihr Verhältnis zum IWF neu zu gestalten, davon zeugt die Ankündigung Ortegas, dass die anstehenden Verhandlungen mit dem IWF die letzten in der Geschichte Nicaraguas sein werden.

Auch ALBA führt zu Problemen
Wenn man die wirtschaftlichen Pläne der Regierung Ortega untersucht, so stellt man sehr schnell fest, dass darin ALBA und die großzügige Unterstützung Venezuelas eine herausragende Rolle spielen. Aber in die anfängliche ungeteilte Zustimmung, die sich auch in der Abstimmung (8 ) in der Nationalversammlung widerspiegelte, haben sich inzwischen besorgte Stimmen gemischt. Ökonomisch am bedeutendsten innerhalb der verschiedenen Projekte im Rahmen von ALBA ist die Versorgung Nicaraguas mit Erdöl. Venezuela garantiert nicht nur ,Nicaraguas gesamten Bedarf zu decken, sondern bietet dafür auch eine Finanzierung an. Nicaragua zahlt zwar den Weltmarktpreis, muss aber nur die Hälfte der gelieferten Menge sofort bezahlen, der Rest geht auf Kredit mit sehr günstigen Zinsen und langer Laufzeit. Wenn man den augenblicklichen Bedarf Nicaraguas zu Grunde legt, führt dies im Jahr zu einem Ansteigen der Auslandsschuld um 300 Mill. US-$. Die Regierung Ortega will diese finanzielle Transaktion zwischen den beiden Staatsunternehmen PDVSA (9 ) und PETRONIC (10 ) abwickeln. Von vielen Seiten wird kritisiert, dass eine derartige Summe, sie entspricht immerhin einem Viertel des Hauhaltsvolumens, außerhalb des Staatshaushalts kanalisiert werden soll. Die Tatsache, dass der Direktor von PETRONIC gleichzeitig Schatzmeister der FSLN ist, beruhigt niemanden.

Vom (Regierungs-) Alltag eingeholt
Auffällig ist auch, dass die Regierung kein gutes Verhältnis zu den Medien hat, Kritik ist ihr ein Gräuel. Ein Beispiel von vielen hierzu ist der Fall der Direktorin des Nationalen Kulturinstituts. Nach zwei Monaten im Amt hatte sie in einem Interview verhaltene Kritik an Daniel Ortega geäußert. Dieser war von der Presse angegriffen worden, weil er kurz zuvor Originalmanuskripte des berühmtesten nicaraguanischen Dichters Rubén Darío dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez geschenkt hatte. Nach ihrer Meinung dazu gefragt, antwortete sie: "Ich begrüße diese Tatsache nicht". Am nächsten Tag wurde sie entlassen. Ein weiterer gravierender Fall ist der von Carlos Fernando Chamorro, ein in Nicaragua sehr geachteter Journalist -er war in den 1980er Jahren Chefredakteur der sandinistischen Zeitung "La Barricada". Chamorro hatte im Fernsehen eine Korruptionssaffäre um den ehemaligen sandinistischen Abgeordneten Gerardo Miranda publik gemacht. In der Fernsehsendung präsentierte Chamorro hierzu ein Tondokument, in dem Miranda zu hören war, wie er sich auch auf Lenin Cerna, einen der engsten Vertrauten Daniel Ortegas, berief. Die Reaktion der Regierung war erschreckend: mehrere Tage lang beschränkte sie sich darauf, Chamorro zu beschimpfen und zu verleumden. Präsident Daniel Ortega, der im Wahlkampf immer Null
Toleranz gegenüber der Korruption gepredigt hatte, brauchte eine Woche, bis er umschwenkte und die Staatsanwaltschaft PGR ( 11 ) mit einer Untersuchung beauftragte. Eines ist dabei klar geworden: Beim Umgang mit Korruptionsvorwürfen unterscheidet sich die FSLN-Regierung nicht sehr von ihren rechten Vorgängerinnen. Ein ganz anders gelagertes Problem waren die Schwierigkeiten, die sich Miguel de Castilla im Erziehungsministerium einhandelte. Nicht nur die "Schulautonomie" wollte er abschaffen, sondern gleichzeitig die Einschulungsquote drastisch erhöhen - beides sehr wünschenswerte Initiativen, die aber nur über Kostensteigerungen im Erziehungssektor zu erreichen sind, denn eine Erhöhung der Einschulungsquote funktioniert nur mit zusätzlichem Unterrichtsraum und mehr Personal. Da aber im Haushalt keine zusätzlichen Mittel vorgesehen waren, verließ sich de Castilla auf den Idealismus der Lehrer_innen: Von ihnen verlangte er Lohnverzicht und Mehrarbeit. Dies musste schiefgehen, denn gerade Lehrer_innen werden in Nicaragua seit langem sehr schlecht bezahlt. Es kam zu einem mehrwöchigen Streik, bei dem sich zum Schluss die Lehrer_innen mit ihren Gehaltsforderungen durchsetzten.


Geheimniskrämerei und mangelnde Transparenz
Eigentlich war nicht zu erwarten, dass der Regierung so viel Kritik aus den sozialen Bewegungen entgegenschlägt. Denn fast alle Nichtregierungsorganisationen stehen den Sandinisten nahe und werden von Personen geführt, die sich in den 1980er Jahren für das sandinistische Projekt eingesetzt haben. Diese politische Nähe führte dazu, dass einige der neuen Verantwortlichen der Regierung Ortega aus dem Bereich der NGOs und sozialen Bewegungen kommen. Inzwischen sind kritische Stimmen aus sehr vielen Organisationen laut geworden. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Umgang der Regierung mit der Öffentlichkeit. Mit einer umfassenden Berichterstattung, die die Öffentlichkeit mit Details versorgt, tut sich die Regierung sehr schwer und sogar die Nationalversammlung musste sich wochenlang bemühen, ehe sie etwa die mit Venezuela anlässlich des Beitritts zu ALBA unterschriebenen Verträge zu Gesicht bekam. Wenn die Regierung Ortega ihren Anspruch, die Demokratie weiterzuentwickeln, sie partizipativer zugestalten, ernst nimmt, muss sie lernen, dass Kritik notwendig ist und dass man sie aushalten muss.

- Eberhard Albrecht -
Anmerkungen:

(1): ALBA - Alternativa Bolivariana para la América
(2): CAFTA - Central American Free Trade Agreement
(3): ALCA - Área de Libre Comercio de las Américas
(4): CENIDH - Centro Nicaragüense de Derechos Humanos
(5): Offizielle Sitzverteilung in der Nationalversammlung (ohne Berücksichtigung von
späteren Wechseln): FSLN 38, PLC 25, ALN 24, MRS 5
(6):PLC - Partido Liberal Constitucionalista
(7): ALN - Alianza Liberal Nicaragüense
(8): Nicaraguas Beitritt zu ALBA wurde mit 78 Jastimmen, einer Neinstimme und 10
Enthaltungen beschlossen (3 Abgeordnete fehlten).
(9): PDVSA - Petróleos de Venezuela Sociedad Anónima
(10): PETRONIC - Petróleos de Nicaragua
(11): PGR - Procuraduría General de la República