Bericht über den Prozeß
gegen Sunny Omwenyeke am 1.10.03 in Bremen
Die Verteidigerin
Gabriele Heinecke beanstandet zu Prozeßbeginn, dass die richterlichen
Ablehnungsbegründungen der Anträge, die sie am ersten Prozeßtag
gestellt hatte (Antrag auf Pflichtverteidigung, Antrag auf Weiterleitung
ans BundesVerfGericht), ihr noch immer nicht schriftlich vorliegen, was
ihr jedoch zugesichert worden war und worauf sie auch Anspruch habe. Richter
Rathke führt die Überlastung des Gerichts an und behauptet,
er müsse das nicht jetzt tun, die schriftlichen Begründungen
könnten später nachgereicht werden (und damit faktisch nach
Prozeßende). Die Verteidigerin verweist auf die Absurdität
dieser Aussage und auf das Recht auf Verteidigung, worauf der Richter
sich zunächst weigert, dann in der Strafprozeßordnung nachliest,
ob er nicht doch noch eine andere Möglichkeit findet, die Verteidigung
hier zu blockieren, um sich dann ohne weiteren Kommentar für 20 Minuten
zu entfernen, um die Ablehnungsbegruendungen zu formulieren.
Als Zeuge geladen ist Werner Pils, der Leiter der Ausländerbehörde
Wolfsburg. Doch vor der Zeugenvernehmung kommt es zunächst zu einer
ca. 45 minütigen Diskussion zwischen Richter und Verteidigung. Insgesamt
wird deutlich, dass Richter Rathke besser vorbereitet ist als beim ersten
Prozeßtag, d.h. er ist überhaupt vorbereitet: er hat die Akte
gelesen, kennt Sunnys Asylverfahren ansatzweise, ist über den Prozeß
in Wolfsburg bzw. Braunschweig informiert, hat sich Grundwissen über
das Asylverfahrensgesetz und das Ausländerrecht im allgemeinen angeeignet.
Zudem ist ihm im Unterschied zum ersten Prozeßtag ansatzweise klar,
wo der Prozeß verortet ist. (...) Die Verteidigerin argumentiert
mit ihrer grundsätzlichen Verteidigungsstrategie, die sich kurz wie
folgt zusammenfassen läßt:
Auf der immanenten Ebene führt sie an, daß das BundesVerfassungsGerichts-Urteil
von 1997 (das die räumliche Beschränkung von AsylbewerberInnen
für verfassungskonform erklärt) seit Jahren nicht mehr aktuell
sei, da 1997 noch keine flächendeckende digitale bzw. erkennungsdienstliche
Erfassung von allen AsylbewerberInnen stattgefunden habe. Das bedeutet,
eine räumliche Beschränkung von AsylbewerberInnen sei heute
für den Staat nicht mehr nötig, da keinE AsylbewerberIn mehr
doppelt Sozialhilfe beziehen könne, da ein Zugriff auf jedE AsylbewerberIn
immer und überall möglich sei. Das Abtauchen von AsylbewerberInnen
wiederum sei auch im eigenen Landkreis möglich, so dies denn beabsichtigt
sei - auch zur Verhinderung dessen sei also keine Residenzpflicht nötig.
Zudem müssten AsylbewerberInnen immer zum entsprechenden Ausländer-
bzw. Sozialamt zurückkommen wg. Verlängerungen des Aufenthalts
und Abholen ihrer Gelder. Daraufhin führt der Richter an, daß
es dem BVerfG aber wichtig sei, dass der Verteilungsschlüssel von
AsylbewerberInnen auf die einzelnen Bundesländer nicht in Frage gestellt
werde und das BVerfG deswegen die Residenzpflicht aufrechterhalten wolle.
Die Verteidigung muß den Richter hier korrigieren: auch dieses Argument
sei hinfällig, da sowieso nach »Länderbelastunggrenzen«
verteilt werde. Die Residenzpflicht habe ja nichts mit der Aufteilung
der AsylbewerberInnen in unterschiedliche Bundesländer zu tun, sondern
verhindere nur, dass diese Menschen reisen, dass sie sich frei bewegen
dürfen.
Ein weiteres Argument der Verteidigung ist die Unverhältnismäßigkeit.
Da Asylverfahren im Regelfall jahrelang dauern, werden nicht nur Menschen
gezwungen, unter unmenschlichen Bedingungen in Rattenlöchern zu hausen,
wo sie zudem keine Arbeitsmöglichkeiten erhalten und kein Recht auf
Deutschkurse etc. haben. Sondern sie würden darüberhinaus auch
noch über viele Jahre hinweg in einem Landkreis eingesperrt. Hier
liege eine Verletzung der Grundrechte, die im Grundgesetz verbrieft sind,
und zudem auch über die Genfer Konvention sichergestellt sind, vor.
Deswegen sei ein solches Gesetz wie die Residenzpflicht in jeder Hinsicht
unverhältnismäßig. Der Richter entgegnet, es dauere so
lange, weil ja »Zehntausende dauernd hereindrängen« und
der Verwaltungsapparat diesem Ansturm nicht gewachsen sei. Die Verteidigerin
bemängelt hier zum wiederholten Male die fragwürdige Grundhaltung
des Richters, die nicht darauf schließen lasse, daß er in
der Lage sei, eine sachliches Urteil ohne Ansehen der Person zu fällen
und daß sich ihr wiederholt der Eindruck aufdränge, das Urteil
stehe von vornherein fest. Dann stellt sie klar, daß Menschen auf
der Flucht nicht »hereindrängen«, sondern ein legitimes
Recht haben, hier zu sein. Zudem sei es umgekehrt so, daß sie fliehen
müßten, weil westliches Kapital in ihre Länder »hereindränge«
und dort nichts Gutes bewirke.Weiter führt sie aus, dass die Genfer
Konvention nicht nur die freie Wahl des Asyllandes vorsehe, sondern auch
die Freizügigkeit von politisch Verfolgten in diesem Land - und diese
gelte auch rückwirkend. Sunny sei nach Jahren als politisch Verfolgter
anerkannt worden, also gilt diese Freizügigkeit nach der Genfer Konvention
auch für ihn und auch in den zu verhandelnden Fällen. Schließlich
sei es nicht sein Verschulden, sondern das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge habe in seiner ersten Ablehnung falsch
entschieden. Sunny hätte von vornherein als politisch Verfolgter
anerkannt werden müssen und hätte so auch nie der Residenzpflicht
unterlegen.
Eine weitere Argumentation der Verteidigerin bezieht sich auf die Kriminalisierung
durch die Residenzpflicht: Was beim ersten Verstoß eine Ordnungswidrigkeit
sei, werde beim zweiten Verstoß schon als Straftat gewertet. Am
Vergleich mit dem Falschparken zeigt sie die Absurdität dieses Vorgehen
auf und betont die Einmaligkeit einer solchen Maßnahme. Schlußendlich
geht die Verteidigerin auf die Verfassungswidrigkeit der Residenzpflicht
ein: Die grundgesetzlich verbrieften, bürgerlichen Rechte, z.B. auf
freie Bewegung, seien sehr hoch anzusetzen. Wenn sie außer Kraft
gesetzt würden, müsse der Staat klar begründen, was nach
seiner Ansicht dafür spricht, einer Person diese Grundrechte abzusprechen,
das heißt, es müsse staatlicherseits konkret glaubhaft gemacht
werden, dass und wo die Gewährung der Grundrechte beispielsweise
den Schutzinteressen des Staates entgegenstehe oder eine Gefährdung
der öffentlichen Ordnung darstelle. Dieses sei weder bei Sunny O.
erkennbar der Fall gewesen, noch stelle die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen
im allgemeinen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.
Aus all diesen Gründen sei die Residenzpflicht nicht verhältnismäßig,
menschlich nicht zu rechtfertigen, nicht verfassungsgemäß und
müsse abgeschafft werden.
Nach mehr als einer Stunde nach Prozeßbeginn wird schließlich
mit der Vernehmung des Zeugen Pils (Leiter der Ausländerbehörde
Wolfsburg) begonnen. Ziel der Verteidigung ist es, deutlich zu machen,
daß die Nicht-Genehmigungen zum Verlassen des Landkreises willkürlich
und ohne sachliche Grundlage erfolgten. Zudem sind Sunny und seine Verteidigerin
der Überzeugung, dass die Nicht-Genehmigungen mit der Besetzung des
Ausländeramtes (bzw. des Büros von Pils) zu tun haben, sprich,
dass Pils darüber sauer war und deswegen keine Genehmigungen mehr
erteilte.
Zunächst wird Pils vom Richter vernommen. Seine Fragen beziehen sich
in erster Linie auf die Tatsache, daß es von Seiten der Ausländerbehörde
keine Aktenvermerke über die Anfragen auf Genehmigungen nach Verlassen
des Landkreises gibt und vor allen Dingen nicht über die Nichterteilung
der Genehmigung, geschweige denn über die Begründung. Laut Pils
ist dies in seiner Behörde nicht üblich. Der Richter zeigt sich
empört und verständnislos angesichts dieser Verwaltungsrealität.
Er stellt klar, dass damit kein Nachvollziehen dieser Vorgänge möglich
sei und auch keine Kontrolle darüber. Insbesondere unerträglich
findet er es, dass ja damit AsylbewerberInnen bei unterschiedlichen SachbearbeiterInnen
mit dem gleichen Anliegen vorstellig werden könnten und bei Ablehnung
durch die eine Sachbearbeiterin einfach am nächsten Tag zu einem
anderen Sachbearbeiter gehen und dort die Genehmigung erhalten, weil der
eine nichts von dem Vorgang der anderen wissen könne. Pils bestätigt,
dass dies grundsätzlich möglich sei. Auf die Frage, ob er nach
der Besetzung sauer auf Sunny gewesen sei, gibt er zur Antwort, er habe
das gar nicht nötig.
Der Richer hält Pils ein Schreiben der Ausländerbeauftragten
des Bundes, Marieluise Beck, vor, die anläßlich des bevorstehenden
Flüchtlingskongresses in Jena 2000 an die Ausländerbehörden
schrieb, dass Genehmigungen zum Verlassen des Landkreises zur Teilnahme
an dieser Veranstaltung erteilt werden sollten. Der Kongreß verstoße
nicht gegen die öffentliche Ordnung. Sunny war eine solche Genehmigung
versagt worden. Der Richter weist Pils darauf hin, dass die Ausländerbeauftragte
des Bundes eine hohe Stelle sei, d.h. eine Absage müsse gut begründet
werden und dürfe nicht einfach so erfolgen. Zudem hält der Richter
Pils eine Anweisung des Landesinnenministeriums Niedersachsen vor, die
besagt, dass Genehmigungen generell »großzügig«
zu erteilen seien. Pils kennt zwar beide Schreiben, bleibt aber trotzdem
dabei, dass seine Ablehnungen sachlich begründet gewesen seien.
Die Staatsanwältin hat wie immer keine Fragen an den Zeugen. Sie
ist im Gerichtssaal quasi nicht existent, da sie komplett imkompetent
ist und außer der generellen, begründungslosen Ablehnung jedes
Antrages der Verteidigung keinerlei Position bezieht und auch nichts zu
sagen hat.
Die Verteidigerin geht in ihrer Befragung unter anderem auf die nicht
erteilte Genehmigung bzgl. des Flüchtlingskongresses in Jena 2000
ein. Sunny
hatte einen Eilantrag gestellt, den der zuständige Richter abgelehnt
hatte, da das Rechtsamt des Ausländerbehörde behauptet hatte,
es bestehe die
Gefahr, dass Sunny »sich einer eventuellen Abschiebung entziehen
würde«. Auf Nachfrage der Verteidigung und des Richters erklärt
Pils eindeutig, dass er davon nicht ausgegangen sei, dass das Rechtsamt
das eigenständig geschrieben habe und dass er persönlich immer
wußte, dass Sunny zurückkommen würde - und zwar »pünktlich«.
Der Richter kritisiert darauf die Begründung des Rechtsamts, da der
Richter, der über Eilantrag von Sunny zu entscheiden hatte, vielleicht
anders entschieden hätte, wenn diese Behauptung nicht aufgestellt
worden wäre. Auf die Frage, warum Pils die Genehmigung dann seinerseits
verwehrt habe, begründet Pils dies mit der »Verfassungsfeindlichkeit«
der Karawane, die zum Kongreß eingeladen habe und liest nach nochmaliger
Nachfrage zum Beweis kurz aus einem Flugblatt der Karawane vor. Dort stehe,
dass »die Karawane gegen Abschiebungen und gegen die Residenzpflicht«
sei und das sei verfassungswidrig, weil beides Bestandteile des Ausländergesetzes
seien und die Karawane damit gegen die Gesetze in Deutschland verstoße.
Daraufhin fragt die Verteidigung Pils, ob er denn wisse, was die Karawane
sei und was sie mache? Er antwortet, es sei eine »politische Organisation
mit politischen Zielen« und mehr wisse er nicht, aber im Flugblatt
stehe eben die Sache mit den Abschiebungen und der Residenzpflicht. Die
Verteidigerin macht Pils auf das verbriefte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
aufmerksam, Pils bleibt bei der Verfassungsfeindlichkeit der Karawane
aufgrund des zitierten Halbsatzes.
Im Folgenden geht die Verteidigung auf die Praxis der Genehmigungerteilung
bzw. -nichterteilung ein. Pils muß auf Nachfrage nochmal deutlich
machen, dass es sein könne, dass man in Zimmer 20 eine Ablehnung
und direkt danach in Zimmer 21 eine Genehmigung erhalte. Die Verteidigung
stellt an diesem Punkt klar, dass der Willkür damit offensichtlich
Tür und Tor geöffnet sei, weil nicht klar sei, was im konkreten
Fall über die Handhabung entscheide und dies könne auch die
Grundhaltung der/des jeweiligen SachbearbeiterIn gegenüber Flüchtlingen
sein. Auf die mehrmalige Nachfrage, was denn nun bei den SachbearbeiterInnen
für ihre Entscheidung, ob ein Flüchtling den Landkreis verlassen
darf oder nicht, ausschlaggebend sei, antwortet Pils, »jeder habe
mal einen guten oder schlechten Tag«. Als die Verteidigung dies
skandalisiert, gerät er sichtlich ins Schwimmen und versucht sich
aus der Affäre zu ziehen.
Schon zuvor hatte Pils mehrmals zu tricksen versucht. Er hatte Bestimmungen
vorgelesen, die beweisen sollten, dass seine Entscheidung auf Nichterteilung
quasi von höherer Stelle abgesegnet wären. Nach Prüfung
durch die Verteidigung stellt sich jedoch jedes Mal heraus, dass die Schreiben
irrelevant für das Verfahren sind, da sie sich (in zwei Fällen)
auf das Ausländerrecht und nicht auf das AsylVerfahrensGesetz beziehen
oder (im dritten Fall) von Mitte 2003 datieren und damit ebenfalls hinfällig
sind.
Als die Verteidigerin ihre Befragung unterbricht, weil sie nun die dem
Richter vorliegende Akte von Ausländerbehörde von Wolfsburg
einsehen will, um die Befragung von Pils fortsetzen zu können, verweigert
ihr der Richter die Akte zu diesem Zeitpunkt und versucht sie dazu zu
bringen, sie nach Ende der Verhandlung einzusehen. Gabriele Heinecke muß
zum wiederholten Male auf ihr Recht auf Verteidigung und auf Nicht-Behinderung
der Verteidigung aufmerksam machen, und macht deutlich, dass sie die Akte
braucht, um den Zeugen weiter befragen zu können. An diesem Punkt
vertagt der Richter die Verhandlung, da es schon kurz vor 17 Uhr sei und
die Verhandlung nicht unendlich fortgesetzt werden könne.
Als die Verteidigerin darauf hinweist, dass sie sich in den nächsten
zwei Wochen in Urlaub befindet und von daher der Prozeß erst danach
fortgesetzt werde könne, macht der Richter sofort klar, dass er darauf
keinerlei Rücksicht nehmen wird und begründet dies unter anderem
mit dem Verweis darauf, dass der Prozeß nicht zwingend eine Verteidigung
verlange. Zudem könne sich die Verteidigerin ja für den Prozeßtag
einen Flieger aus dem Urlaub zurück nehmen, wenn es denn so wichtig
sei. Trotz mehrmaligen Einspruch der Verteidigerin wird der nächsten
Termin in ihren Urlaub gelegt, so dass sie nicht am Prozeß wird
teilnehmen können.
Nächster Termin:
Donnerstag, 9.10.03 um 9.00 Uhr, Amtsgericht Bremen, Zi. 551
Karawane für
die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen in Bremen
Bernhardtstrasse 10-12, 28203 Bremen, Fon: 0421-7901309,
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