Aufruf zur 2. Ausgabe der Women Videoletters, Sommer 2003

 

Women videoletters - a second text on war & globalization

Dieser Text ist eine Einladung, einen Beitrag für die zweite Ausgabe der women videoletters zu produzieren! Die videoletters sollen eine Sammlung kurzer Videofilme von Frauen sein, die verschiedene lokale Perspektiven auf die gegenwärtigen Ungleichverhältnisse, auf Militarisierung und Krieg zusammenbringen. Wir glauben, dass dadurch sichtbar werden kann, wie unterschiedlich Krieg wirkt. Aber dass auch ein anderer Blick auf die globalen Zusammenhänge von verordneter Armut und Geschlechterhierarchien oder normativer Heterosexualität geworfen werden kann.

Welchen Blick haben Frauen, heterosexuelle, lesbische und transgender-Frauen auf den Kriegsalltag oder auf die ‘Alltäglichkeit’ von Krieg. Wie definieren wir, was Krieg ist?

Das Projekt

Das Projekt begann anlässlich des Krieges in Afghanistan.

Die Idee zu diesem Projekt entstand bei einem Treffen zu Videoaktivismus in Berlin, im Oktober 2001. Etwa 10 Frauen aus verschiedenen Videoinitiativen in Indien, Deutschland, Mexiko und der Schweiz saßen zusammen und entschieden sich zu einer gemeinsamen Reaktion auf die politischen Folgen des 11. Septembers: vor allem den Krieg in Afghanistan aber auch Maßnahmen wie etwa die Einführung einer rassistischen sogenannten ‘Sicherheits’gesetzgebung in Deutschland. Die anwesenden Videoaktivistinnen wollten einen Austausch kritischer feministischer Perspektiven mit anderen Frauen aus unterschiedlichen Regionen und Kontexten. 2002 wurde eine erste Ausgabe von videoletters von Aktivistinnen und Filmemacherinnen aus Mumbai/Indien, Chiapas/Mexiko, Berlin/Germany, aus den USA und aus Frankreich produziert. Diese erste Ausgabe wurde bei Demonstrationen, bei politischen Aktionen, bei Seminaren in der Universität und bei Filmfestivals gezeigt.

Filmbeispiele zu Krieg aus feministischer Sicht

‘das ist nicht Krieg’ - Filme zum Thema Krieg und die ‘Normalität’ von Krieg

In Berlin diskutierten wir Filme wie ‘Who hangs the laundry, washing, war and electricity in Beirut’ (von Tina Naccache und Hrafnhildur Gunnarsdottir), ‘Asurot’ (‘detained’ von Anat Aven und Ada Ushpiz), ‘News Time’ (von Azza El Hassan) oder ‘Queer Documentary in Wartime: A New View of the Israeli Palestinian Crisis’ (von Ellen Flanders). Sie gehören zu den wenigen Beispielen für Filme, die die Alltäglichkeit oder die ‘Normalität’ von Krieg aus einer persönlichen Perspektive von Frauen zeigen. In ‘Who hangs the laundry, washing, war and electricity in Beirut’ spricht Tina Naccache über den Krieg während sie Kleider wäscht - wir sehen eine Reihe von Handlungen, die notwendig werden, weil das Wasser gekürzt ist und die Elektrizität häufig ausfällt - Effekte des Kriegs in Beirut.

"Wer keinen Krieg erlebt hat, glaubt, dass dann Krieg herrscht, wenn einem die Bomben auf den Kopf fallen und Leute getötet werden. Das ist nicht Krieg. Das ist nur der Beginn eines Krieges. Krieg ist, wenn nicht mehr geschossen wird, wenn es keine Gewalt gegen Individuen mehr gibt, wenn keine Häuser mehr zerstört werden, wenn keine Angst mehr herrscht und man herumblickt und sieht, was vom Krieg übrig geblieben ist. Das ist Krieg. Die Hinterlassenschaft dessen, was wir für Krieg halten."

‘Asurot’ zeigt drei palästinensische Frauen, die in einem Haus in Hebron leben: der vordere Teil des Hauses gehört zu Israel, der hintere Teil zur palästinensischen autonomen Zone. Die israelischen Soldaten erzwingen Einlass ins Haus, wann immer sie wollen und die Frauen müssen mit der permanenten Präsenz der Soldaten klarkommen. In ‘News Time’ spricht Azza El Hassan über Ramallah als einem bevorzugten Ort des Medieninteresses. Sie zeigt die Filmteams und Filmkameras, die auf den Konflikt und die BewohnerInnen dieses Ortes gerichtet sind. Ihr Film beschreibt wie diese Anwesenheit und Aufmerksamkeit der Medien auf ihre Arbeit als Filmemacherin, auf den Konflikt selbst und auf die Männlichkeit der jungen palästinensischen Teilnehmer der Kämpfe gegen Israel einwirkt. Der gerade entstehende Film ’Queer Documentary in Wartime: A New View of the Israeli Palestinian Crisis’ (der zur zeit als ‘work in progress’ gezeigt wird) macht deutlich, wie die Lebenspraxis und die queeren Identitäten verschiedener palästinensischer und israelischer Lesben und Schwuler mit der Situation der Okkupation kollidieren. Auch in diesen Konflikten zeigen sich konkrete Bedeutungen von Krieg. Ellen Flanders verbindet auch die Reflektion ihrer eigenen Familiengeschichte mit der gegenwärtigen Situation in Israel und Palästina.

Videoletters können Aktionen dokumentieren oder Statements abgeben oder den Alltag analysieren.

Fragen, die wir uns stellen

Was geschieht in Anbetracht der Dringlichkeit von Krieg mit feministischen und lesbischen Strukturen, Projekten, Netzwerken, in denen wir uns bewegen? Was wird aus den Wünschen, eine andere Alltagspraxis oder Lebensweise zu entwickeln?

“Anlässlich der momentanen globalen Krise wissen viele nicht, warum sie sich mit queerer Politik oder mit Transgenderfragen beschäftigen sollen. So erscheinen unsere Anliegen bedeutungslos. Das sind sie nicht, sie müssen vielmehr mit der Antikriegspolitik in Verbindung gebracht werden. Dazu müssen wir ganz deutlich machen, wie queere Politik und Antikriegspolitik und antikapitalistische Politik ineinander greifen. Und ich denke, das ist in vielerlei Hinsicht eine große Aufgabe.” Judith Halberstam, San Diego, USA, videoletter-videoclip.

Die Videobriefe könnten einen solchen Blick entwerfen, der den Alltag von Krieg und Globalisierung mit den Anliegen feministischer oder queerer Politik verbindet. Sie können ein Netzwerk herstellen, über das wir unsere unterschiedlichen Einschätzungen austauschen. An den Orten, an denen sie gezeigt werden, können sie ein feministisches Statement gegen Krieg setzen.

Verschiedene Aspekte

In unserer Berliner Vorbereitungsgruppe gibt es unterschiedliche Zugänge zu einer solchen Kritik mit Namen wie ‘Feminismus’, oder ‘Perspektive von Frauen’, ‘queere’ oder ‘lesbisch/schwul/transgender Politiken’. Einige von uns sehen videoletters als ein Projekt, in dem Frauen aus unterschiedlichen Regionen der Welt ihre unterschiedlichen Erfahrungen, Analysen oder Vorstellungen von Widerstand austauschen. Andere verstehen eine feministische Analyse als eine, die Standpunkte und Erfahrungen sichtbar macht, die in den Medien und der politischen Repräsentation systematisch unkenntlich gemacht werden. Oder es gibt ein Interesse an der Frage, wie Krieg und Globalisierung unterschiedliche Geschlechter- und sexuelle Positionen und Verhältnisse produzieren und konstruieren. Einige wollen herausfinden, wie geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und sexualisierte Gewalt im Verhältnis zu Krieg, Militarisierung und Nationalismus stehen. Anne aus Berlin möchte von Tejal und Natasha aus Bombay hören, wie sie diese Frage im Verhältnis zu dem religiös-fundamentalistisch motivierten Genozid in Gujarat/Indien einschätzen. Und Nadja möchte gerne von Ana und den Frauen aus Mexiko erfahren, wie sie dies wiederum in Chiapas anlässlich des fortdauernden Krieges niedriger Intensität einschätzt.

Wenn wir von ‘queer’ Perspektiven sprechen, wollen wir eine gemeinsame Kritik an Sexismus, Heterosexismus, Homo-/Transphobie und Rassismus ansprechen, die für einige von uns mit diesem Begriff adressiert wird.

Wir möchten einen Austausch über diese Fragen und Zugänge zwischen den Beteiligten am videoletters Projekt anregen.

Das Format

Die videoletters sollten eine Länge zwischen 1 und 15 Minuten haben. Die Form des Videos als ‘Brief’ könnte ein Ausgangspunkt sein, um über die Gestaltung des Films nachzudenken, das an Frauen in allen Teilen der Welt oder auch an Frauen in einer spezifischen Region adressiert sein könnte. Wir denken, dass es auch eine Idee sein könnte, dass ihr euch selbst in euren videoletters zeigt - weil es für alle von uns interessant ist, etwas über die Macherinnen, die ‘Absender’ der Videobriefe zu erfahren.

Wir werden alle videoletter zu einem Band zusammenstellen, dann kopieren und sie zurück an alle Absenderinnen schicken (das heißt dass ihr alle produzierten videoletters bekommen werdet). Jede Autorin eines videoletters entscheidet, wo sie diese Kompilation zeigen möchte (bei politischen Aktionen/Veranstaltungen, Festivals, Ausstellungen, im Kino).

Alle videoletters gehören allen Frauen, die mit einem ‘Brief’ dazu beigetragen haben!

Wo werden die Videoletters gezeigt

Der erste Aufführungstermin ist das Weltsozialforum in Bombay/Mumbai, Indien, vom 16. bis zum 21. Januar 2003. Wir könnten uns dort treffen (besonders wenn es uns gelingt, noch eine Finanzierung der Reisekosten zu finden) oder/und eigene lokale Aufführungen der videoletters parallel zum Forum organisieren.

Frauen, die an der Organisation des kommenden Weltsozialforums beteiligt sind, haben vor, feministische Inhalte entschiedener zum Thema zu machen, als das bei den letzten Foren in Porto Alegre der Fall war. Daher denken wir, dass es für uns eine gute Idee sein könnte, diesen Wunsch an Ort und Stelle zu unterstützen, nämlich den Fokus der Kritik an Globalisierung in einer Weise zu verändern, dass Geschlechter- und sexuelle Politiken einbezogen werden. Unmittelbar vor dem eigentlichen Forum werden einige Frauen in Mumbai ein zwei- bis dreitägiges internationales queeres und feministisches Treffen organisieren. Während des Festivals planen sie die Einrichtung eines queeren Treffpunktes und ein Filmfestival zu gender- und sexuellen Pluralitäten.

Ein Projekt ohne Finanzierung

Das Projekt women videoletters hat bisher keine Finanzierung. Einige von uns denken, dass es besser ist, an diesem Projekt ohne Funding zu arbeiten und damit in einem politischen und künstlerischen Sinne unabhängig zu sein. Wir haben aber diskutiert, dass wir dennoch versuchen werden, eine Finanzierung für diejenigen zu finden, die einen videoletter nicht ohne finanzielle Unterstützung und Materialkostenzuschuss produzieren könnten. Da es jedoch hier schwierig ist, Geld für eine feministisches Filmprojekt zu finden, noch dazu für eins, dessen Form und genaue Inhalte bis zum Schluss offen bleiben werden, können wir nicht versprechen, dass wir damit Erfolg haben werden. Wenn andere Zugang zu einer Finanzierung haben sollten, setzt euch bitte mit uns in Kontakt.

Wie funktioniert die Teilnahme am Projekt?

Schreibt an, dass ihr teilnehmen wollt! Und schickt eure Kommentare und Ideen zum Projekt und den hier formulierten Fragen. Bitte sendet euer tape (möglichst: miniDV, DV-Cam, Beta SP, sonst VHS) bis zum 15. November 2003, so dass wir bis Ende Dezember die Kompilation zurückschicken können. Bitte schickt das video in der Originalfassung, aber mit einer Transkription und einer geschriebenen englischen übersetzung.

Wenn ihr in dieser Zeit keinen videoletter produzieren könnt, euch aber für das Projekt interessiert, schreibt trotzdem!

Schickt euren Videoletter an folgende Adresse:

(bitte vermerkt auf dem Päckchen: ohne kommerziellen Wert!)

Videoletters c/o Frisius, Lausitzer Str. 9, 10999 Berlin, Germany

Zu dieser Einladung gibt es auch einen Videoclip in englischer Sprache (wenn ihr interessiert seid, bitte schreibt uns ein mail und wir schicken euch den clip als CD oder als VHS-Kopie).

Herzliche Grüße aus Berlin
Renate Lorenz, Malou Bülow, Nadja Damm, Karin Kasböck, Christine Lamberty, Tania Eichler, Karin Michalski and Anne Frisius

Das Projekt steht allen interessierten Frauen/Gruppen offen, aber wir beginnen damit, diesen Brief an folgende Adressen zu schicken:

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