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"Geschichte
wird gemacht"
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Aus Anlaß der Ausstellung
zeigen wir hier Umbruch-Bilder aus einer mittlerweise vergriffenen Broschüre
über den 1. Mai 1987 - 1992. Statt Peter Strieder sollen uns Knofo (Mitbegründer
der Bewegung 2. Juni) und ETA (Ex-Totengräber, Archivar im Havemann-Institut)
das Geleitwort geben. Der Text entstand kurz nach dem 1. Mai 1987. Wie alles
anfing...
FALCKE, WALDE UND BOLLE
Falckenstein zählt mühelos den Rest seiner Sozialhilfe
und legt sich aufs Bett. Er gönnt sich nachmittags öfter ein Nickerchen, seit
sein Versuch gescheitert ist, als selbstständiger Jungunternehmer ein Versicherungsgeschäft
für abgefahrene Autotüren zu betreiben. Er schläft ein und träumt, er liege
in der Sonne hinter einer Bananenstaude, vor der ein Nashorn tanzt. Von Ferne
naht der Lärm eines Gemetzels aus den Bauernkriegen. Falckenstein wälzt sich
unruhig hin und her, will aufwachen, schläft aber augenblicklich wieder ein.
Er hört es krachen, splittern, schreien. Flackernde Blaulichter in dicht aufsteigendem
Nebel, der schweflig schmeckt und in den Augen brennt. Hustend kommt Falckenstein
zu sich, springt auf und schlägt das Fenster zu. Auf dem Lausitzer Platz vor
seinem Haus ist die Hölle los.
Waldemars Hamster fällt aus dem Fenster. Nicht ohne Eleganz federt er auf der
Markise des türkischen Gemüsehändlers ab, dreht sich zweimal in der Luft und
landet in den Pfirsichen. Waldemar verfolgt den Flug des Hamsters ohne Panik.
Als letzterer die Aprikosen verläßt, um das Weite zu suchen, erhebt sich Waldemar
von seinem Platz. Der Hamster war nicht das erste Mal aus dem Fenster gefallen.
Als Waldemar endlich auf die Straße tritt, ist die nicht wiederzuerkennen. Auf
Gehwegen und Fahrbahnen ballen sich die Leute in großen Haufen. Überall liegen
Pflastersteine und Bierflaschen und umgekippte Bauwagen und alles Mögliche.
In Richtung Lausitzer Platz Ialüt es pausenlos. Es ist noch heller Tag, es ist
unglaublich, und es riecht tränentreibend brenzlig in der Luft. Das Straßenfest
ist diesmal aber fix zu Ende, konstatiert Waldemar, der seit 1941 in der Wiener
Straße gegenüber der Feuchten Welle wohnt. Er holt sich Helm und Spazierstock
und macht sich auf die Suche nach seinem Haustier.
Falckenstein gesellt sich zu allerlei Volk, daß sich vor einem brennenden Bauwagen
versammelt hat. Irgendwer schenkt ihm Bier und Zigaretten. Seinen sonstigen
Gewohnheiten zum Trotz unterhält er sich ausgelassen mit wildfremden Leuten.
Ein alter Knacker mit Sturzhelm (Cromwell Halbschale) gestikuliert mit einem
weißen Stock und fragt nach seinem ihm entfallenen Hamster. Jemand haut dem
Alten auf die Schulter: "Eij mann, hamstan hieß et fünfunvürzich, heute heeßt
et plündan! Willste'n Schluck Sekt? Heute kann ick nehmlich ooch ma een ausjehm,
halt die ran!" Aber der Alte schüttelt den Kopf und geht weiter. Falckenstein
ist in aufgekratzter Stimmung und setzt seinen Streifzug durchs Viertel fort.
Bolle brennt. Erst nur ein bißchen und ganz hinten drin. Einkaufswagen voller
Lebensmittel, Spirituosen und Pampers werden auf die Straße geschoben und unter
die Leute verteilt, oder irgendwo in Sicherheit gebracht. Weit und breit keine
Legalität mehr. Nur noch Volk, das sich amüsiert. Wenn es einen Preis für die
schönste Kreuzung dieser erstaunlichen Nacht geben würde, denkt Waldemar, dann
verdient ihn die vor seiner Haustür. Mehr als ein Dutzend Barrikaden schützen
das Treiben auf dem Platz. Daimler & Enten brennen vereint. Auf zwei riesigen
Scheiterhaufen unter der Hochbahnbrücke geht die Inneneinrichtung von Bolle
in Rauch auf. Drum herum tanzt die berühmte Kreuzberger Mischung. Auffallend
ist nur, daß entschieden weniger Hunde als sonst unterwegs sind.
Vor der Feuerwache in der Wiener Straße hat sich Volk um einen großen Mann in
blauer Uniform versammelt. Waldemar schlendert näher und lauscht der Diskussion.
Es geht um die Bewohner der neben Bolle gelegenen Häuser, die in einem ebenso
dramatischen wie lächerlichen Einsatz versuchen, die Brandmauern per Trittleiter
und Gartenschlauch zu kühlen, weil die Feuerwehr nicht herankommt an den mittlerweile
recht kräftig brennenden eingeschossigen Kasten, dessen letzte Waren längst
auf der Kreuzung verteilt worden sind. Der umringte Oberbrandbekämpfer erklärt
den Leuten souverän, daß keine Gefahr für die angrenzenden Häuser besteht: "In
den modernen Betondingern, ja, da hätte ick och Schiß, aba zu eure Häuser könnta
Vertrauen ham, wenn die früa ne Brandmaua jebaut ham, dann ham se och Brandmauer
jemeint. Bei euch wern noch nich ma die Tapeten warm."
Waldemar kehrt zur Kreuzung zurück und stellt mit einer Mischung aus Bestürzung
und Hingerissenheit fest, daß er beinahe bereit ist, sich in das bacchantische
Treiben vor dem großen brennenden Verteilerkasten zu stürzen. Die Decke von
Bolle ist durchgebrannt und stürzt funkenstiebend ein, vom frenetischen Beifall
der Festgesellschaft begleitet. Das ununterbrochene Trommeln und Klopfen auf
allem, was irgendwie Laut gibt, läßt Waldemars Fantasie davonfliegen. Ein junges
Mädchen, in der er trotz Maskierung unschwer die Verkäuferin des Bäckerladens
erkennt, tanzt an Waldemar vorbei und läßt ihn völlig die Fassung verlieren.
Knofo (Mitbegründer der Bewegung 2. Juni) und ETA (Ex-Totengräber, Archivar
im Havemann-Institut)
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