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THEMA: Nato-Gipfel 2008
ORT: Berlin
ZEIT: 4. April 2008
BILDMAPPE: Ablage im Bildarchiv/ 517 \

Anti-Nato-Protest in Berlin

Aus Solidarität mit den von Repression betroffenen Anti-NATO-AktivistInnen in Bukarest versammelten sich am Freitag, den 4. April 2008 rund 100 AntimilitaristInnen nahe der rumänischen Botschaft in Berlin. Nach einer Auftaktkundgebung mit einem Live-Bericht aus Bukarest zog eine kleine, aber fetzige Kurzdemo weiter zur amerikanischen und französischen Botschaft.
Während der gerade laufenden Nato-Konferenz waren am 2. April rund 200 vermummte Beamte einer rumänischen Spezialeinheit in das Convergence Center Bukarest gestürmt und hatten 54 AktivistInnen z.T. brutal festgenommen. Viele bekamen dabei Pfefferspray und Schläge ab, eine Frau erlitt einen Beinbruch. (siehe: Bericht einer Berliner Augenzeugin weiter unten). Mittlerweile sind die Nato-GegnerInnen wieder auf freiem Fuß.

 

Fotos: Mike/Manfred Kraft/Umbruch-Bildarchiv
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Von fiesen Gendarmen und hochgereckten Daumen

Bericht einer Berliner Aktivistin aus Bukarest

Nichts sollte passieren in Bukarest, der Protest gegen den NATO Gipfel einfach komplett verhindert werden - so zumindest der Plan der Offiziellen, umgesetzt durch die Verbreitung dummdreister Schauermärchen über AnarchistInnen, die angeblich die gesamte Stadt bis in Schutt und Asche legen wollten, durch die daraus folgene Empfehlung Bukarest wenn irgendwie möglich zu verlassen, durch das Verbot jeglicher politischen Äußerung in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch 27.000 Cops. Fotos bekannter AktivistInnen wurden in den Medien inklusive vollem Namen veröffentlicht, ihre Eltern zuhause aufgesucht, Internationalist@s an den Grenzen abgewiesen, usw. Aber ich sag mal, trotz einigen Verunsicherungen unsererseits ist er nicht aufgegangen, der Plan - es gab Proteste, mehrere Demos fanden an allen Tagen des Gipfels trotz generellem Demoverbot statt. Dinge die am ersten Abend unserer Zusammenkunft noch kaum eineR für möglich gehalten hätte. Im Unterschied zu den deutschen Medien wurden die Anti-NATO Proteste in Rumänien auch von Abendnachrichten und Titelseiten der meisten Zeitungen aufgegriffen - auch wenn das vor allem daran gelegen haben mag, dass zum einen der offizielle Gipfel für die ReporterInnen schnarchlangweilig gewesen sein muss, und den Protesten zum anderen ein ziemlich beschissener Einsatz einer Spezial Gendarmerietruppe vorausgegangen war, der die Behörden in den folgenden Tagen zur Zurückhaltung zwang. Welche Rolle die Anwesenheit von uns Internationalist@s dabei spielte, und was die vielzitierten Augen der Weltöffentlichkeit und die Unterstützung einiger weniger NGOs dazu beitrug, dass wir nicht einfach wieder alle festgenommen wurden lässt sich schwer einschätzen. Einmal hat aber auch gereicht, sag ich mal.

Am ersten Tag des Gipfels befanden wir uns gerade mitten in einer angeregten Diskussion darüber, ob wir es nun wagen wollen eine nachmittägliche Demonstration zu machen, lieber nur kurz ein Transpi in der Nähe des Palastes, in welchem der Summit stadtfand, lupfen oder doch dezentralen Aktivitäten den Vorzug geben sollten, als die Spannung rund um das Convergence Center zunahm. Bereits an den beiden Tagen vor dem offiziellen Beginn des Gipfels hatte es bis zu neunstündige Festnahmen von AktivistInnen wegen belanglosem Scheiß gegeben, wegen Rucksack aufhaben oder einkaufen gehen, was auch immer. Nun aber lungerten die für uns undefinierbaren Gestalten (Polizei? Nazis? Geheime?) nicht mehr länger nur in der Nähe unserer gemieteten Fabriketage rum, sondern kamen z.T. in klischee mäßigen schwarzen Limousinen auf den Hof gefahren, mit verdunkelten Scheiben versteht sich, zudem wurden erste Polizeifahrzeuge gesichtet. Die Unruhe stieg, einige wollten raus zu den eilig verständigten Kamerateams, solange es vielleicht noch möglich war (rein kam schon niemand mehr zu diesem Zeitpunkt), andere fanden es sicherer drinnen zu bleiben. Aber da ging es auch schon los wie in einem Lehrfilm der GSG 9: Dutzende vermummte Cops stürzten durch beide Zugänge gleichzeitig auf uns los, fesselten uns die Hände auf den Rücken, brüllten uns an, dass wir uns mit dem Gesicht auf den Boden legen sollen, prügelten und traten auf uns ein, spritzten mit Tränengas rum, beschimpften uns auf übelste rassistische, sexistische und homophobe Weise und verbreiteten eine enorme Hektik. Ich weiß nicht, mit wem oder was sie gerechnet hatten, ihre Bewaffnung hätte in jedem Fall ausgereicht - Knüppel, Knarren, irgendwelche vom Gürtel baumelnden Granaten, Gas, Maschinengewehre... Die erste Runde Bullen hatte sich noch nicht beruhigt, da kam noch ne Fuhre reingetobt, wieder vermummt, diesmal mit Helm und fing wieder von vorne an. Es waren echt einige richtige Dreckschweine dabei, die Leuten mit den Stiefeln ins Genick traten, wenn sie wagten den Kopf zu heben, oder auch einfach nur so zum Spass. Eine Frau neben mir wurde am Gürtel hochgehoben und auf die Knie gedonnert, in einer Ecke wurde ein Genosse aus Moldawien unter widerlich rassistischem Beschimpfungen zusammengeschlagen. Und immer dazwischen einige ruhig und interessiert umherschlendernde Zivile...

Wir wurden die Treppen runter auf den Hof gebracht, durchsucht und in Gefangenentransporter verfrachtet, immer noch zusammen mit Schlägerbande Nummer eins. Einige von denen hatten immer noch nicht genug, malträtierten den ohnehin blutig geprügelten Genossen immer wieder mit Fäusten, Teleskopschlagstock, Gewehrkolben, und immer auf den Kopf (Mittlerweile geht es ihm wieder ganz ok, glaube ich, am nächsten Tag war er wieder mit uns auf der Strasse - ein Glück!), eine Frau konnte nicht mehr laufen, sie war mit dem Schlagstock in die Kniekehle geschlagen worden. Als wir den Hof verließen, hörten wir draußen die Rufe unserer FreundInnen "Libertate! Libertate!" Ein Ruf der an diesem Tag noch des Öfteren erschallen würde, in diesem Moment aber klang er am Großartigsten in meinen Ohren. Sobald wir auf der Wache ankamen, die Gendarmerie dann auch weg war, entspannte sich die Situation minütlich. Die Alltagspolizisten waren eher irritiert über unseren Haufen, würde ich sagen. Ständig lugten welche die Tür rein, "AnarchistInnen gucken" und Fragen stellen, aber weniger verhörmäßig - da gab es nur kurze erfolglose Versuche - sondern eher politische: Warum seid ihr denn gegen die NATO? und solche Sachen... Nun ja, wem auch immer sei Dank waren wir jedenfalls relativ bald wieder draußen, ein Genosse ist noch aus dem Fenster entkommen aus Wache 23, die Cops haben dann einem Freund seinen Ausweis mitgegeben...

Wir haben uns dann kurz darauf wieder getroffen, an einer anderen Wache und haben gewartet bis auch da alle raus waren; dann ging es weiter zur Wache 10, in der noch ein Berliner saß, dem vorgeworfen wird den Fabrikbesitzer an der Eingangstür seines Ladens angegriffen und verletzt zu haben. Nach massivem Klatschen und Libertate! Libertate! rufen, inklusive Medienhalligalli und Anwaltsgesprächen, kam auch dieser Genosse gegen Abend als letzter frei und wir zogen alle gemeinsam zurück zur Fabriketage - quer durch die Innenstadt und relativ dicht vorbei am Tagungsort des Gipfels hatten wir damit unsere erste Demonstration gegen die NATO. Viele von denen die uns sahen hatten uns schon in den Abendnachrichten gesehen, wussten wer wir waren und warum wir da waren. Die Stimmung war ganz gut, wir waren froh, dass die ganze Geschichte letztlich dann doch recht glimpflich verlaufen war, wir waren alle wieder frei, aber auch ganz schön erschöpft.

Am nächsten Tag machten wir uns nach einigem Zögern wieder auf in die Öffentlichkeit. Schließlich wollten wir nicht als Opfer in die Geschichte eingehen, sondern das tun, weshalb wir gekommen waren - gegen die NATO protestieren. Die Einschätzung, dass es sich die Behörden nach dem gestrigen Eklat nicht erlauben würden, erneut massiv gegen uns vorzugehen erwies sich als richtig, aber ganz so sicher waren wir uns da am Anfang unserer ersten Anti-NATO Demo auch nicht. "Ihr könnt unsere Knochen brechen, aber nicht unsere Ideen" stand auf rumänisch auf dem Banner, mit dem wir unter lauten "Stopp NATO! Stopp Razboi!" (Stoppt den Krieg!) Rufen in Richtung Krankenhaus liefen, wo sich sieben von uns ihre Verletzungen bescheinigen lassen wollten. Wir liefen auf dem Gehweg einer recht vielbefahrenen Straße entlang und es tat richtig gut, als eine Menge Leute aus den umliegenden Betrieben uns mit Winken, Victoryzeichen oder ausgestrecktem Daumen unterstützten, AutofahrerInnen hupten uns zu. Von wegen "Rumänien begrüßt die NATO" - es ist nicht das erste Mal, dass mit Fähnchen an jedem Fahnenmast, medialer Hirnwäsche und Einschüchterung versucht wird, die Leute vom Selbstdenken abzuhalten - zumindest unserem kurzen Eindruck ist auch dieser Plan fehlgeschlagen.

Mit dieser Erfahrung im Rücken und dem Wissen, dass sich die Einschätzung, die Repression würde sich nun in gewissen Grenzen halten, bewahrheitet hatte, entschlossen sich einige Leute am Freitag noch einmal auf die Straße zu gehen. Ziel war diesmal die tschechische Botschaft in Bukarest, wo auf die Pläne Polens und Tschechiens ein US-Raketenabwehrsystem zu stationieren aufmerksam gemacht wurde. Banner wurden entrollt und einige Interviews gegeben. Anschließend entschied man sich für einen Spaziergang durch die Innenstadt, bei dem Flyer verteilt und mit PassantInnen gesprochen wurde. Wiederum zeigten Solidaritätsbekundungen verschiedenster Art, dass trotz gehörigen Aufwands die Menschen sich nicht davon abhalten lassen selbst zu denken und sich ihre eigene Meinung bilden.

Die rumänische Gesellschaft, die wir erlebt haben ist voll von wachen, interessierten Menschen, die durchaus wissen, was die Stunde geschlagen hat; Rumänien ist in der EU angekommen, aller Schlaglöcher und Pferdegespanne zum Trotz. Es gibt dort Fußgängerzonen mit hochfahrbaren, RFiD-Chip gesteuerten Pollern und kaum ein westlicher Kommerzkack, der dort nicht zu finden wäre. Auch die Gendarmerie als in Form gegossene paramilitärische Polizeigewalt ist alles andere als ein Relikt aus den Tagen Ceaucescus, auch wenn es sicherlich personelle Kontinuitäten gibt. Vielmehr ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns solche Gendarmerie-Einheiten in Europa bald öfter begegnen werden: im italienischen Vicenza werden derzeit die neuen "European Gendarmerie Forces" ausgebildet, als polizeiliches Äquivalent der "Schnellen Eingreiftruppen" des Militärs, bereit zum Einsatz im In- und Ausland. Mancher "Sicherheits"stratege mag den Überfall der Carabinieri auf GlobalisierungsgegnerInnen 2001 in der Diaz-Schule in Genua mit anderem Ergebnis ausgewertet haben als seinerzeit wir, bzw. die Reste der linksliberalen Öffentlichkeit. Trotz unserer berechtigten Empörung sollten wir in Zukunft politisch nicht in erster Linie darauf abheben solcherlei Überfälle der Gendarmerie als Skandal darzustellen, als Eigenmächtigkeiten an sich überkommener Strukturen autoritärer, oder im Falle Italiens faschistischer Offiziere. In den militärischen Abteilungen wird ganz offen von der "shock and awe" Strategie gesprochen, Naomi Klein hat die politische Anwendung dieser Methode in ihrem letzten Buch "Die Schock-Strategie" ausführlich belegt. Die Gendarmen mögen persönlich faschistische Schweine sein oder auch nicht, was sie tun ist kein Ausrutscher, sondern schlicht die "zivile" Seite des Krieges, die Militärisierung der Gesellschaft unterhalb des Tötens, mit der dafür gesorgt werden soll, dass Ruhe ist im Karton - und gegen die es genauso zu kämpfen gilt wie gegen die NATO und ihre Bombenteppiche. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. - sala -


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