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THEMA: Finanzkrise
ORT: Berlin - Frankfurt
ZEIT: 12. November 2011
BILDMAPPE: Ablage im Bildarchiv / 361i \

Occupy-Bewegung
in Frankfurt und Berlin

Beinahe jeden Samstag finden zur Zeit Demonstrationen der Occupy-Bewegung statt. Am 12. November 2011 protestierten Tausende unter dem Motto "Banken in die Schranken" und umzingelten das Berliner Regierungsviertel und das Bankenzentrum in Frankfurt am Main. Zu den Menschenketten hatte ein breites Aktionsbündnis aufgerufen. Hierzu zählte die Acampada-Bewegung ebenso wie Attac, Compact, die Naturfreunde sowie zahlreiche Gewerkschaften. Fotogalerie vom 12.11.11 in Berlin (19 Fotos)
Die Fotos aus Frankfurt sind nicht vom 12.11. sondern stammen von vergangenen Protesttagen. Gar nicht von gestern ist jedoch die Einschätzung samt einiger drängender Fragen an die Occupy-Bewegung, die uns Wolf Wetzel mit seinen Bildern mitschickte (siehe unten) Vielen Dank dafür!


Fotos von verschiedenen Protesttagen in Frankfurt/Main (15 Fotos)

Occupy Frankfurt - Good (Guys) and Bad Banks?

Kaum jemand kannte die Gruppe Occupy Frankfurt, die für den 15. Oktober 2011 zu einer Demonstration vor der Europäischen Zentralbank/EZB aufgerufen hatte. Den wenigsten waren Inhalte und Forderungen bekannt. Niemand wusste, was es zu bedeuten hat, wenn die Initiatoren ankündigten: Wir sind gekommen, um zu bleiben. Niemand kam, weil er/sie das Flugblatt der Gruppe aufmerksam gelesen hatte. Weder gab es ein Flugblatt, noch eine Erklärung, die alles bisherige in den Schatten gestellt hätte …
Was eigentlich für einen Flop spricht, wurde ein Herbstmärchen: Über 8.000 Menschen folgten diesem Lockruf. Eine Überraschung für die Initiatoren und für viele, die die politische Landschaft - gerade in Frankfurt - kennen.
Dementsprechend viele ›Unverdächtigte‹ kamen, Menschen, die noch nie auf die Straße gegangen sind, die ihre Unzufriedenheit gegenüber der Politik und den Banken zum Ausdruck bringen wollten. Die üblichen Verdächtigen, die bekannten politischen Akteure blieben deutlich in der Minderheit und im Hintergrund.
Aufgrund dieser Just-in-time-Demo war fast alles improvisiert, sympathisch, erfrischend naiv, aufgeschlossen, ungewiss und vielsagend. Wer die Querelen in Frankfurt (und auch anderswo) unter den politisch Aktiven leid ist, die endlosen Diskussionen über den richtigen unverkürzten, antikapitalistischen Weg, der mindestens 20 rassistische, deutsch-nationale, antisemitische Schnittmengen, Affinitäten, Konnotationen glaubhaft aus dem Weg räumen muss, bevor der erste Schritt gemacht werden darf, der war zufrieden und atmete auf. Endlich neue Leute, eine neue Unbeschwertheit, eine neue Unverkrampftheit. Anstatt auf 100 Stoppschilder zu achten und 88 No-Go-Regeln zu befolgen, durften fast alle fast alles sagen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war der Umstand, dass die ZuhörerInnen der ›asamblea‹ (der Versammlung) die Arme kreuzten und damit ihren Unmut zum Ausdruck brachten.
Neben all dem Neuen, Unbedarften und Frischen, gab es auch viel Bekanntes: Die kleine Gruppe der Initiatoren hatte eine vage Idee und musste folglich auf viel Bewährtes zurückgreifen. Also übernahm ATTAC-Frankfurt gut 80 Prozent des Programmes, bis die asamblea vorbei war und Attac fast eingepackt hätte, weil die Übergabe an ›Occupy Frankfurt‹ mangels realer Existenzen fast gescheitert wäre. Danach war eigentlich auch schon Schluss, bis auf den Aufruf, Zelte aufzubauen, die vom Ordnungsamt unter der Auflage genehmigt wurden, dass keine Heringe in den Rasen gerammt werden dürfen.

Die 7.900 Menschen sind wieder zurück im Alltag und ca. 50 - 70 aufgeschlagene Zelte zeugen noch von jenem wundersamen Ereignis. Es finden Vollversammlungen statt, es gibt Arbeitsgruppen, es gibt viel Alltägliches zu erledigen, vor allem, weil es zunehmend kälter und unfreundlicher wird. Die Stimmung vor Ort wird als gut beschrieben, die Polizei findet die CamperInnen "schon sehr lieb" und das Ordnungsamt hat das Zeltlager vor der EZB bis in den November hinein genehmigt. "Wenn die Leute so friedlich blieben, dann werde man das auch den Winter hindurch tun, heißt es bei der Behörde." (FR vom 19./20. 11.2011)

Auch die Frankfurter Rundschau hat ›Occupy Frankfurt‹ ins Herz geschlossen, berichtet von ganz drinnen und ganz nah, portraitiert über 1 1/2 Seiten das ehemalige Ortsbeiratsmitglied der ‚Freien Wähler' und den jetzigen Occupy-Aktivist Frank Stegmaier ... und titelt einen Bericht vom 19/20. November mit den vielsagenden Worten: "Den Geist nicht nehmen lassen".

Ist Occupy Frankfurt etwas ganz Neues, die Frucht vergangener Proteste, die Saat, die nun, mit neuem Schwung und neuen Gesichtern aufgeht?

Vor zwei Jahren gab es in Frankfurt zwei große Demonstrationen, mit über 10.000 Beteiligten, unter dem Motto: ›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹. Man war sich einig, dass man nicht für das Desaster der Banken und der sie schützenden Politiker bluten wollte. Die Ziele und Forderungen reichten von der Zähmung bis zur Überwindung des Kapitalismus, also von einem gut erzogenen bis zu gar keinem Kapitalismus. Doch bevor sich die Beteiligten einigen konnten, wie man für das eine oder andere sorgen kann, waren sie wieder verschwunden. Lag es an den üblichen Verdächtigen (von gewerkschaftlichen bis zur radikalen Linken), an der fehlenden Konsequenz, selbst dafür zu sorgen, dass das nicht länger geschieht, was man partout nicht will?
Vor genau einem Jahr wollte die Georg-Büchner-AktivistInnen eine Finanzzentrale in Frankfurt für einen kompletten Arbeitstag blockieren. Der Kern der Idee war, nicht mehr von A nach B zu laufen, mit Forderungen, die sich nicht einlösen, indem man sie unentwegt ruft. Es ging darum, nicht länger auf Banken zu schimpfen, um sie herumzulaufen, also sie in Ruhe (weitermachen) zu lassen, sondern einen Fuß in die Tür zu stellen, sie zu stören, sich ihnen in den Weg zu stellen, zumindest für einen Tag. Die meisten Beteiligten waren davon überzeugt, dass die Zeit dafür reif ist, dass es vielen unter den Nägeln brennt, den vielen Klagen, Analysen, Aufforderungen, den vielen: Man müsste endlich.... auch Taten folgen zu lassen. Das Konfrontationsniveau war bewusst auf die Teilnahme vieler ausgelegt: Die Präsenz von 5.000 und X sollte den Geschäftsbetrieb einer großen Finanzzentrale für einen Tag unterbinden, indem man alle Eingänge und Zugänge zu diesem Finanztempel blockiert. Alle waren sich sicher, dass das ein machbares Anliegen ist, wenn doch so viele davon überzeugt sind, dass man die Macht der Banken brechen müsse - nicht mit Versprechungen, mit Forderungen, mit Appellen, sondern indem man die eigenen Bekundungen ernst nimmt. Dennoch gelang es nicht, die allgemeine Erkenntnis, die weitverbreitete Unzufriedenheit in eine konkrete Teilnahme umzuwandeln. Die Blockade wurde abgesagt. Lag es daran, den Grünstreifen der vielen Forderungen und Appelle zu verlassen? Lag es daran, dass die meisten die Macht der Banken gar nicht selbst brechen, sondern brechen lassen woll(t)en (von einer guten, also einsichtigen Regierung, einer besseren Opposition)? Lag es an einer verkürzten Kapitalismuskritik oder an zu viel Kapitalismuskritik? Lag es daran, dass wir die ›Unverdächtigen‹ nicht erreichen, nicht gewinnen konnten, also all jene, die heute Occupy Frankfurt so sympathisch erscheinen lassen? (weiter: siehe unten)


 



Fotos Frankfurt/Main: Wolf Wetzel
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Fotos Berlin: Andreas/heba/Umbruch Bildarchiv
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Kann man von Occupy Frankfurt lernen? Ist Occupy Frankfurt die Antwort auf das Scheitern aller vorangegangener Proteste?

Occupy Frankfurt ist nicht deshalb ein Erfolg, weil es aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, sondern weil es mit all dem nichts zu tun hat oder zu tun haben will. Weder beziehen sie sich die Initiatoren auf vorangegangene Protestbewegungen, noch sind sie eine Antwort darauf. Solange Occupy Frankfurt nur den Unmut zusammenträgt und repräsentiert, wird das nicht größer ins Gewicht fallen. Aber irgendwann, in nicht all zu ferner Zukunft wird Occupy Frankfurt Ziele bestimmen müssen, an deren Umsetzung sie gemessen wird.
Occupy Frankfurt wird irgendwann sagen müssen, wie man z.B. die Macht der Banken brechen will, wenn es nicht bei der Tatenlosigkeit bleiben soll, die man zurecht allen anderen (Etablierten) vorwirft. Dann wird man feststellen, dass Occupy Frankfurt die Probleme anderer Protestbewegungen nicht hinter sich gelassen hat, sondern vor ihnen stehen wird. Das Problem ist doch nicht, 10.000 Menschen auf die Straße zu bringen, die unzufrieden sind. Wer das will, muss nur all das aufzählen, was unzufrieden macht, und sich den zahllosen Appellen, es müsse sich endlich etwas ändern, anschließen und hinzufügen, dass alle anderen lügen und uns bislang verarscht haben. Dann muss man noch alle (etablierten) Parteien blöd finden und darauf verweisen, dass wir die wahren 99 Prozent sind.
Dagegen ist nicht einzuwenden. Schließlich ist jeder Schritt aus der Vereinzelung besser, als die Vereinsamung der Unzufriedenheit. Das ist aber auch nicht neu, schon gar kein Neuanfang.
Das Problem ist also nicht, die Unzufriedenheit sichtbar zu machen, sondern aus der Ohnmacht dieser Unzufriedenheit auszubrechen, aus Opfern Handelnde zu machen, denen mit Taten zu begegnen, denen man Tatenlosigkeit vorhält, die, die machen, was sie wollen, daran hindern, dass sie dies fortgesetzt, ungestraft und folgenlos tun können.
Das Problem ist nicht, einen genehmigten Ort des Protestes zu finden, sondern den genehmigten Ort des Protestes zu verlassen! Wir alle stehen vor einem gordischen Knoten: Wenn die Unzufriedenen störungsfrei ihren Unmut auf die Straße tragen, kommen viele. Wenn wir diejenigen stören wollen, die für diese Unzufriedenheit verantwortlich sind, dann sind wir nicht genug (Zahltag-Initiativen) oder zu wenige (Die Überflüssigen). Der Masterplan, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen, ist noch nicht gefunden.

Nun wird immer wieder gesagt, die ›Bewegung‹ sei jung, brauche Zeit, müsse sich finden und formulieren, um aus der Repräsentanz der Unzufriedenheit eine Bewegung der Unzufriedenen zu machen. Wer ihr das Fehlen von Zielen und Konsequenzen vorhalte, ersticke die Bewegung im Keim. Diese Mahnung zur Geduld ist sympathisch ... und irreführend. Denn die Zweifel an Occupy Frankfurt kommen nicht vom Hochsitz der wahren Erkenntnis, sondern aus zurückliegenden Erfahrungen.
Wie will man die Macht der Banken, der Finanzwirtschaft brechen, außer in Beschwörungen und Worten? Wie will man verhindern, dass die Krise der Ein-Prozent-Elite auf die 99 Prozent abgewälzt werden? Will man einen guten, also gezügelten Kapitalismus, der auch für das letzte Drittel genug übrig lässt? Und wenn man die Finanzkrise nicht für einen Exzess hält, sondern für eine immanente Krise des Kapitalismus, dann stellt sich die Frage nach einer anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung! Wer von Letzterem überzeugt ist, muss nicht nur eine exzellente Kapitalismuskritik haben, sondern auch eine Vorstellung davon, wie das ganz Andere aussehen könnte und wie wir ohne Spider-Man und Time-Bandits dort hinkommen.
Wie will man aus dem Momentum einer Demonstration eine dauerhafte Struktur machen, die direkte Demokratie nicht nur gut findet, sondern praktiziert?
Auf all diese Fragen hat weder Occupy Frankfurt, noch die vorangegangenen Protestbewegungen eine Antwort gefunden. Occupy Frankfurt steht also nicht wo ganz anders, sondern vor all diesen ungelösten, angerissenen Fragen. Dies Occupy Frankfurt vorzuwerfen, wäre mehr als daneben. Es geht darum, all diese Fragen gemeinsam und öffentlich zu diskutieren - im Wissen um all die Erfahrungen, die vor Occupy Frankfurt gemacht wurden.

Wie (ernst) ist was gemeint?

Wir sind die 99 Prozent‹ ist auf vielen Plakaten und nun auch auf T-Shirts zu lesen. Selbstverständlich ist das nicht ganz wörtlich zu nehmen. Ein symbolischer Überschuss gehört zu jeder Bewegung. Aber der Abstand zwischen Metaphorik und Wirklichkeit sollte nicht allzu groß sein, will man mehr als die Rhetorik der Herrschenden (Wir sprechen und vertreten die Mehrheit der Bevölkerung) ironisch umkehren.
Wir haben die Parole ›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹ kritisiert, als sie immer noch gerufen wurde, obwohl alle Beteiligte längst für deren Krise bezahlt hatten, ohne diese Diskrepanz in den Demonstrationen 2009 auch nur anzuschneiden bzw. auszusprechen.
Wir haben als Georg-Büchner-Initiative unser Vorhaben, eine Finanzzentrale in Frankfurt zu blockieren, abgebrochen, weil wir in der Mehrheit zu dem Schluss gekommen waren, eine wirksame, also von Tausenden getragene Blockade nicht durchführen zu können. So bitter der Entschluss auch für viele war, so richtig war es, uns selbst an den Ankündigungen zu messen.
Wenn ›Wir sind 99 Prozent‹ nur eine gefühlte Mehrheit meint, so fragt sich also, wer bis heute Occupy Frankfurt tatsächlich trägt. Und man tut Occupy Frankfurt sicherlich nicht unrecht, wenn man feststellt, dass das Letzte Drittel dieser Gesellschaft (Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Niedrig-Entlohnte, Mini-JobberInnen), kaum auf den Demonstrationen präsent ist. Das ist nicht neu, sondern ein großes Problem aller Protestbewegungen, dass sie die Menschen im Produktions- und im Dienstleistungssektor, Menschen am Ende der Verwertungskette, kaum erreicht haben. Dieses Dilemma, für all jene zu sprechen, die gar nicht da sind, obwohl ihre ökonomische, prekäre Lebenslage sie buchstäblich auf die Straße treiben müsste, muss ausgesprochen, anstatt übergangen werden. Dann bestünde die Chance, nach Möglichkeiten zu suchen, aus der blanken Behauptung (›Wir sind die 99 %‹) herauszukommen.

Occupy Frankfurt - der außerparlamentarische Arm der ›Realwirtschaft‹?

Occupy Frankfurt hat nicht nur unter den Beteiligten viel Sympathien. Die 8.000 Menschen sind nicht auf die Straße gegangen, weil Occupy Frankfurt ihnen die Augen geöffnet hat, sondern weil sie von den vielen Leitmedien buchstäblich auf die Straße getrieben wurden. Während die Protestbewegung ›Wir zahlen nicht für eure Krise‹ , die Georg-Büchner-Initiative weitgehend verschwiegen wurden, holten die Leitmedien die Facebook-Aktion aus dem Internet ins Fernsehen und in die Leitartikel der Printmedien. Noch am Abend zuvor durfte ein Sprecher von Occupy Frankfurt im Nachtmagazin der ARD in aller Ruhe und ohne Unterbrechungen für das Anliegen werben. Das lag nicht nur daran, dass der Sprecher jung und tadellos war und einem Peer Steinbrück aus dem Herzen gesprochen hat. Es hat auch etwas damit zu tun, dass Occupy Frankfurt in einer gravierend anderen politischen Situation agiert. Sie könnten so etwas wie der außerparlamentarische Arm einer Fraktion der politischen Klasse sein, die die Macht der Banken reduzieren möchte, bevor diese den Kapitalismus selbst unter sich begräbt. Parteiübergreifend formulieren politische Schwergewichte, dass die Finanz-Märkte nicht länger die Politik vor sich hertreiben dürften, dass die Billionen an Verluste aus der Finanzwirtschaft, die erst verstaatlicht und nun zu Staatskrisen führten, das kapitalistische Projekt als Ganzes gefährden. Lassen wir einmal beiseite, ob diese Initiativen innerhalb der politischen Klasse ernst gemeint sind bzw. ob sie die politische Macht haben, den systemischen Banken etwas aufzuzwingen. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Fraktion ganz sicher die Drohung der ›Straße‹ braucht, um sich Gehör zu verschaffen.
Zurzeit werden nicht nur unter ATTAC und ›alternativen‹ Wissenschaftlern Forderungen erhoben, die vor zwei Jahren noch für unrealistisch und weltfremd, heute für machbar und notwendig gehalten werden: Das Verbot von Derivaten, die Einführung einer Spekulationssteuer, die Trennung von Investmentbanking und Kreditbanken, die Erhöhung der Eigenkapitalquote von Banken. Selbst die weitere Verstaatlichung von Banken wird diskutiert. All dies tut ein Teil der politischen Klasse nicht, um den Kapitalismus abzuschaffen, sondern um ihn sicherer zu machen. Die Frage innerhalb von Protestbewegungen: was will man eigentlich und wem spielt man (ungewollt) in die Karten, ist nicht neu, aber sie bekommt eine machtpolitische Brisanz. Die Diskussion darüber, ob die politische Klasse das Gewicht der verschiedenen Kapitalfraktionen (Finanzkapital versus Industriekapital) neu austarieren kann, ob das tatsächlich gewollt ist und ob es überhaupt möglich ist, müsste also eröffnet werden.
Wer heute, also irgendwann morgen die Macht der Banken brechen will, muss sich nicht nur die Diskussionen innerhalb der Protestbewegungen in Erinnerung rufen, sondern auch klären, mit wem oder gegen wen er/sie politische und gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen möchte. Man kann die Entscheidung vor sich herschieben, man kann sie ganz lange diskutieren. Man wird um die Beantwortung einer ganz schlichten Frage nicht herumkommen: Will man einen fürsorglichen, nicht über die Strenge schlagenden Kapitalismus (›Banken in die Schranken‹) oder will man mehr als diese Illusion?

Occupy Frankfurt kommt nicht vom Fleck

Am Anfang waren es 8.000 Menschen, die dem Aufruf folgten. Eine Woche später waren es noch 5.000. Am 30.10.2011 folgten nur noch 3.000 Menschen und in der darauf folgenden Woche schmolz die Zahl der DemonstrationsteilnehmerInnen auf knapp über 2.000.
Natürlich sind auch fünf Wochen viel zu wenig, um sich auf Ziele und Vorgehensweisen zu einigen. Doch auch die viel geschätzten Unverdächtigen, die Occupy Frankfurt so groß gemacht haben, fragen sich offensichtlich, ob man mit Protest etwas bewegen kann, wenn man zum vierten Mal von A nach B läuft.
Woche für Woche erzählen Betroffene davon, was ihnen widerfährt, dass ihre Firma ›umstrukturiert‹ wird, also immer weniger Lohnabhängige für noch weniger Lohn und noch mehr Arbeit rackern müssen. Sie berichten von Schikanen, von unerträglichen Arbeitsbedingungen. Die Betroffenen ernten Applaus. Man ist solidarisch mit jenen, die sich zu Wehr setzen. Warum verlässt Occupy Frankfurt nicht den Rasen vor der EZB und geht tatsächlich dorthin, wo das passiert, was eine ungerechte Wirtschaftsordnung ausmacht?

Bankenviertel umzingelt - eine gelungene symbolische Aktion oder eine schlechte Simulation?

"Bankenviertel ›umzingelt‹" titelte gutmütig und gänzefüßig die Sonntagszeitung der FAZ das Ergebnis eines Aufrufes von ATTAC, Campact und Occupy Frankfurt, am 12. November 2011 das Bankenviertel in Frankfurt und das Parlamentsgebäude in Berlin zu umzingeln. Über 10.000 Menschen folgten in Frankfurt diesem Aufruf, in Berlin waren es deutlich weniger. Die Beteiligung wird als großer Erfolg bewertet. Eine gelungene symbolische Aktion? Ein nächster Schritt in einem neuen Protestzyklus?
Woran misst man diesen Erfolg? Daran, dass 10.000 Menschen diesem Aufruf folgten? Daran, dass 10.000 Beteiligte genau wussten, dass die Umzingelung des Bankenviertels gar nicht ernst gemeint war?
Bereits vier Mal hat Occupy Frankfurt zu einer Demonstration gegen die Bankenmacht aufgerufen. Vier Mal wurden am Wochenende, während Banker ihr After-work-Wochenende genossen, die Banken umkreist. Dieses Mal bildete man für 20 Minuten eine Menschenkette um eine geschlossene, menschenleere Bank. Hätte nicht eine Nachbildung einer großen Bank in die Taunusanlage genügt, um einen Kreis um sie zu bilden, um am Ende ihre Umzingelung zu feiern? Eine Umzingelung, die so ernst gemeint war und ist wie die Übernahme des Rathauses der Narren in den Karnevalstagen.

Es werden viele einwenden, dass man Aufrufe und vollmundige Ankündigungen nie ernst nehmen darf. Die ›Umzingelung des Bankenviertels‹ würde sich doch nur in die Reihe vieler Übertreibungen einreihen. Das stimmt, und dennoch wird aus einer schlechten Praxis keine gute, indem man sie nahtlos wiederholt. Im Gegenteil: Wenn man den Regierenden ständig und zu recht vorwirft, dass sie nur Sprechblasen verbreiten, dass man ihren Versprechen kein Glauben mehr schenken dürfe, dann sollte man das eigene (Nicht-)Handeln, nicht mit der gängigen Praxis rechtfertigen bzw. entschuldigen. Selbstverständlich liegt zwischen einem Vorhaben und der eigenen Praxis immer eine Kluft. Aber wenn man sich gar keine Mühe gibt, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, nähert man sich der Farce, indem man lediglich etwas simuliert, was nur so aussehen soll, als ginge es um eine entschlossene Tat.

Die Occupy-Bewegung in Oakland/Kalifornien hatte den Hafen besetzt und wurde mit Gewalt von dort vertrieben. Wenige Tage später räumte die Polizei das Zeltlager der Occupy-Wall Street-Bewegung im Zuccotti Park. Daraufhin versuchten mehrere Hundert Occupy-Anhänger, den Börsenbetrieb an der Wall Street lahmzulegen. Die Polizei verbarrikadierte präventiv das Banken- und Finanzzentrum New Yorks und ging erneut mit Gewalt gegen sie vor. Über 30.000 Menschen zogen am 17. November 2011 als Antwort auf diese Polizei-Angriffe direkt zum Amtssitz des Bürgermeisters Michael Bloomberg. Ihr Motto war deutlich: ›Bloomberg beware, Zuccotti Park is everywhere‹ … Nimm dich in Acht Bloomberg - Zuccotti Park ist überall. Und: ›400 Sturmpolizisten können keine Idee töten‹.

Auch in Frankfurt muss man nicht alle Kapitalismuskritiken verstanden haben, man muss auch keine Einigung darüber erzielt haben, ob man das ›Zügellose‹ nur in die Schranken weisen oder die Schranken überwinden will, um das Zeltlager vor der EZB zu verlassen. Fest steht, dass die Billionen-Verluste im Finanzsektor aus denen herausgepresst werden, die nicht ›systemrelevant‹ sind. Fest steht auch, dass diese Stadt schon lange nicht denen gehört, die darin leben, sondern denen, die die Krise verursacht, politisch möglich gemacht haben und aus der Krise Kapital schlagen werden. Wenn rund um den Frankfurter Flughafen die Menschen nicht mehr schlafen können, wenn viele ihre Mieten nicht mehr bezahlen und von ihrer miesen Lohnarbeit nicht mehr leben können… wenn öffentliches Eigentum (wie das Campus-Gelände in Frankfurt-Bockenheim) Privatinvestoren in den Rachen geworfen wird, zugunsten derer, die ihre Milliarden-Verluste wie Müll vom Staat, von den Kommunen abholen lassen, dann wird es höchste Zeit, dass Occupy Frankfurt das Winterlager verlässt und dort hingeht, wo man tagtäglich das erlebt, was bei Occupy Frankfurt Woche für Woche beklagt wird.

Entscheidet man sich dafür, wäre zumindest eines (bei allen offenen Fragen) sonnenklar:
Presse, Medien und Polizei hätten Occupy Frankfurt nicht mehr lieb.

Will man das riskieren?

Wolf Wetzel 19.11.2011
Ex-Georg-Büchner-Initiative

Vorabdruck aus dem Buch: Krise des Kapitalismus - krisenhafter Protest, Wolf Wetzel, Edition Assemblage, Münster, 2012
Mehr Informationen und Texte zu diesem Thema und zur Georg-Büchner-Initative findet ihr unter: wolfwetzel.wordpress.com

 


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