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No Border Camp 2012Die ersten Grenzcamps fanden Ende der 90er Jahre an der Ostgrenze der BRD statt, um die rassistische Gewalt des europäischen Grenzregimes zu markieren. In diesem Jahr fand das No Border Camp in Köln/Düsseldorf statt, da der Flughafen Düsseldorf zu einem wichtigen Drehkreuz im europäischen Abschiebesystem geworden ist. Während der Camptage gab es zahlreiche Aktionen, die sich u.a. gegen die Abschiebepraxis von Behörden und Deportation-Airlines auf dem Großflughafen richteten - einige Eindrücke gewinnt ihr aus den nebenstehenden Bildern. Geprägt
war das diesjährige No Border Camp jedoch nicht nur von den antirassistischen
Aktionen und Demonstrationen, sondern auch von massiven internen Auseinandersetzungen.
"Noborder 2012 war politisch, sozial und menschlich ein GAU - nicht
anders als der Himmel, aus dem es pausenlos schüttete." So lautete
das Fazit von NoLager Bremen kurz nach dem Camp. In einem 8-seitigen Auswertungspapier
beschreiben sie die Hintergründe des internen Streits, der ihrer
Ansicht nach vor allem dem autoritären Auftreten einer Berliner Gruppe
und ihres nicht ganz kleinen Umfeldes zu verdanken ist. Den übrigen
CampteilnehmerInnen gelang es nicht, eine andere Form der kollektiven
Kommunikation und Entscheidungsfindung durchzusetzen. Ein Lichtblick,
das das Camp es trotzdem geschafft hat, mit den Flüchtlingen und
den Roma an gemeinsamen Aktionen festzuhalten. Hier nun das Auswertungspapier
von No Lager Bremen. +++ Großaktion en am Düsseldorfer Flughafen, Roma-Demo zur lokalen Ausländerbehörde, Soli-Besetzungen in Düsseldorf etc. +++ Autoritäre Formierung im Namen von critical whiteness +++ FlüchtlingsaktivistInnen kritisieren falsche Solidarität und fehlende Bezugnahme auf alltägliche Kämpfe +++ Awareness-Gruppe driftet unter Verletzung sämtlicher Mindeststandards in Willkür ab +++ agisra/Beratungsstelle für MigrantInnen erhält Veranstaltungsverbot +++ Politische Debatten fallen ins Wasser +++ Noborder 2013 mit Fragezeichen +++ Bereits im Vorfeld des Nobordercamps ist es innerhalb des Vorbereitungszusammenhangs zu massiven Problemen und Konflikten gekommen, was nicht nur zu einem Alternativaufruf seitens "antiautoritärer antirassistischer Gruppen" geführt hat (http://de.indymedia.org/2012/07/332422.shtml ), sondern auch dazu, dass verschiedene Zusammenhänge (u.a. aus Belgien und Frankreich) ihr Wegbleiben ausdrücklich angekündigt haben, insbesondere nachdem sie auf dem Noborder-Camp in Stockholm einen unerwarteten Vorgeschmack auf die Debattenkultur des Kölner Camps erlebt hatten. Dennoch bestand bei vielen bis zum Schluss die mehr oder weniger zweckoptimistische Hoffnung, dass es das Camp selbst schon richten würde - spätestens wenn mensch sich live sehen, direkt miteinander sprechen und gemeinsame Aktionserfahrungen machen könne. Allein: Dies und weiteres sollte sich als frommer Wunsch erweisen, denn die Sache wurde noch schlimmer - nicht zufällig sprach daher ein Flüchtlingsaktivist am Tag nach dem Camp auf der internen Mailingliste von einer "Atmosphäre der Angst und der Beklommenheit", die insbesondere von einer Gruppe auf dem Camp geschürt worden sei (um besagte Gruppe - samt Umfeld - wird es im folgenden noch öfter gehen, wir möchten allerdings auf ihre namentliche Nennung verzichten, allein um die von dieser Gruppe praktizierten Methoden nicht ungebrochen fortzusetzen). Entsprechend drohte das Camp am Ende förmlich zu kollabieren, spätestens nachdem das Infozelt aus Solidarität mit einer von rassistischer Diskriminierung betroffenen Person in Streik getreten war - wobei bereits an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt sei, dass der als vermeintliche Täterin benannten Person zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt wurde, wann und wo es zu welcher Diskriminierung gekommen sein soll. Mit anderen Worten: Noborder 2012 war politisch, sozial und menschlich ein GAU - nicht anders als der Himmel, aus dem es pausenlos schüttete. Um so wichtiger erscheint nunmehr eine sorgfältige Nachbereitung unter möglichst breiter Beteiligung. Dafür müssen die Dinge zum einen ungeschminkt benannt werden, zum anderen möchten wir dafür plädieren, dass die vor und während des Camps entstandene Kultur des Verdachts, des Misstrauens und der willkürlichen Attacken endlich ein Ende findet. Es muss stattdessen eine Gesprächsatmosphäre geschaffen werden, in der Argumente, Fragen oder Kritiken angst- bzw. unterbrechungsfrei formuliert werden können - auch dann, wenn das Gegenüber mit der Position explizit nicht einverstanden ist oder den Eindruck hat, dass in einem Statement problematische, mithin diskriminierende Anteile mitschwingen könnten. Noch ein Wort zu uns: Als NoLager Bremen waren wir Teil eines gemischten Zusammenhangs, der mit ca. 20 Personen am Camp und dessen Vorbereitung beteiligt war - vor allem aus Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe, Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main und transact. Wir haben auf dem Camp mehrere Veranstaltungen gemacht, das Ausstellungsszelt gestaltet und die beiden Flughafen-Aktionen mitvorbereitet. Der vorliegende Bericht ist allein von uns verantwortet, allerdings ist er aus kollektiven Reflektionen während des Camps hervorgegangen. I. Aktionen & Workshops Gerade weil Aktionen notgedrungenerweise nicht im Zentrum dieser Auswertung stehen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sie durchaus in zahlreicher Form gegeben hat - als da wären: Auftakt-Demo in Düsseldorf aus Solidarität mit den hungerstreikenden Flüchtlingen in bislang sechs deutschen Städten; Kundgebung im Düsseldorfer Abschiebeflughafen (http://www2.de.indymedia.org/2012/07/332750.shtml); Roma-Demo zur lokalen Ausländerbehörde in Köln-Kalk; Aktionshappening mit Konzerten und Redebeiträgen auf der Domplatte; Aktion gegen die zentrale Ausländerbehörde in Köln; Besetzung des französischen Konsulats aus Solidarität mit den Flüchtlingen und MigrantInnen in Calais; Besetzung der Landesgeschäftsstelle von Bündnis90/Die Grünen zur Unterstützung der Hungerstreikenden in Düsseldorf (http://www2.de.indymedia.org/2012/07/332823.shtml + http://thecaravan.org/node/3319); Antirassistischer Stadtspaziergang in Köln; Großdemo am Düsseldorfer Abschiebeflughafen mit 700 bis 800 TeilnehmerInnen (https://linksunten.indymedia.org/de/node/64350 + http://www.youtube.com/watch?v=fRN6FoJDfW4 ); sowie kontinuierliche Unterstützung der Hungerstreikenden in Düsseldorf (http://www2.de.indymedia.org/2012/07/332950.shtml). Ganz ähnlich das Bild bei den Workshops: Auch hier gab es ein (über-)volles Programm (http://noborder.antira.info/de/program/) - einschließlich Konzerten und Theaterstücken, etwa der Einakter eines ursprünglich aus Tunesien stammenden Aktivisten von Afrique-Europe-Interact, in dem anlässlich eines boats4people-Workshops von den Migrationserfahrungen junger Leute in Tunesien vor und nach der Revolution erzählt wurde. II. Critical Whiteness Vorweg möchten
wir unserer prinzipiellen Überzeugung Ausdruck verleihen, dass die
Auseinandersetzung mit critical whiteness für antirassistische Kämpfe
absolut unumgänglich ist (critical whiteness ist ein aus den USA
stammendes Konzept, das in der wissenschaftlichen und/oder politischen
Auseinandersetzung mit Rassismus nicht die Entrechtung, sondern die Kritik
weißer Vorherrschaft und der damit verknüpften Privilegien
ins Zentrum rückt). Denn ohne die Impulse und Herausforderungen durch
viele unter anderem im critical whiteness-Diskurs aufgeworfenen Fragen
und Probleme wären zahlreiche gemischt zusammengesetzte antirassistische
Projekte in den letzten 10 Jahren gar nicht möglich gewesen - unter
anderem die Folgenden: 5. Antirassistisches Grenzcamp/2002: http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/
), NoLager-Netzwerk/2002-2007: http://www.nolager.de/ ), Afrique-Europe-Interact/seit
2009: http://www.afrique-europe-interact.net ) und das aus dem Noborder-Camp
2009 auf Lesbos hervorgegangen Netzwerk welcome2europe: http://w2eu.net/
+ http://w2eu.info/ ). Auf dem Camp kam es aber zur identitätspolitischen
und autoritären Aufladung des Konzepts, so dass critical whiteness
nicht mehr zum produktiven Stichwortgeber wurde, sondern zu einer anti-emanzipatorischen
Dominanzstrategie. Problematisch war vor allem die bereits im Vorfeld
deutlich gewordene Polarisierung bzw. Dichotomisierung, wonach weiße
AktivistInnen allein durch ihre gesellschaftliche Positionierung rassistisch
seien und sich daher primär mit ihrem eigenen Rassismus auseinander
setzen sollten, anstatt staatlichen oder gesellschaftlichen Rassismus
aktionistisch zu bekämpfen (zur Veranschaulichung sei nur aus einem
offenen Brief aus Berlin zitiert, in dem es heißt: "Wir weiße
(Personen), unsere Körper, unsere a) Falsche Solidarität: Hinsichtlich der Stimmungslage vieler weißer CampteilnehmerInnen hat beim Abschlussplenum am Sonntag vor allem ein Aktivist von The Voice Refugee Forum sehr pointiert Stellung bezogen. Er meinte, dass sich während des Camps eine Atmosphäre falscher Solidarität aufgebaut habe: Leute würden sich schuldig fühlen, ohne zu wissen, weshalb - entsprechend hätten sich Leute zu Solidaritätsbekundungen gezwungen gesehen, einzig aus der Angst heraus, ansonsten als RassistIn zu gelten. Im Kleinen ist das etwa darin deutlich geworden, wie ein Flüchtlingsaktivist mit afrikanischem Hintergrund berichtete, dass ihm auf dem Camp immer wieder mit übertriebener Höflichkeit der Weg frei gemacht worden sei. Ungleich problematischer war allerdings, dass Statements oftmals entlang von sogenannter Hautfarbe beklatscht wurden - quasi unter Ausblendung des konkreten Inhalts. So berichtete ein Flüchtlingsaktivist beim abschließenden Plenum des Thementags zu critical whiteness am Montag, dass er 7 Jahre lang in Mecklenburg-Vorpommern im Wald gelebt habe und dass er jene weißen AktivistInnen sehr wohl als solidarische MitstreiterInnen betrachten würde, die 2003 in 'sein' Lager gekommen seien. Denn erst dadurch sei es ihm und vielen anderen möglich geworden, im Rahmen des NoLager-Netzwerks der Repression und dem alltäglichen Terror des Lagers in Tramm zu entkommen. Einziger Haken: Dieser Beitrag wurde von Leuten beklatscht, die noch einige Minuten zuvor völlig anders gelagerten, ja gegenläufigen Redebeiträgen vehement zugestimmt hatten. Kurzum: Hier ist die politische Kommunikation in die Falle identitätspolitischer Selbst- und Fremdstereotypisierung getappt, d.h. der strategische Bezug auf gesellschaftliche Positionierungen diente nicht mehr ihrer Überwindung, vorherrschend war stattdessen die Tendenz ihrer (abermaligen) Zementierung. b) Marginalisierung flüchtlingspolitischer Kämpfe: Das bislang Gesagte heißt allerdings nicht (und auch darauf haben die bislang zitierten FlüchtlingsaktivistInnen stets hingewiesen), dass weiße AktivistInnen vor Rassismus prinzipiell gefeit seien. Die Frage sei allerdings, wie damit umgegangen werden solle: Extrem konfrontativ - und zwar mit der Begründung, dass alles andere nicht helfen würde? Oder aber solidarisch, wie es diverse FlüchtlingsaktivistInnen immer wieder eingefordert haben? Aus unserer Perspektive spricht vieles für letzteres, wie auch der konkrete Verlauf des Camps gezeigt hat. Denn Konsequenz der hier geschilderten Dynamiken war, dass es zu einer Art Hierarchisierung der Problemlagen gekommen ist: Statt praktischer Diskussionen und Gespräche darüber, wie die verschiedenen Kämpfe aufeinander bezogen werden könnten, kreisten viele Camp-Gespräche einzig um die scheinbaren oder tatsächlichen Rassismen im Camp. Kein Wunder also, dass FlüchtlingsaktivistInnen in einem abschließenden, unter dem Motto "Ist das also das No Border Camp"? verbreiteten Statement die Diskrepanz zwischen proklamierten Zielen und Realität heftig kritisiert haben. Konkret ist in dem Text von "Isolierung und Ignorierung von Geflüchteten auf dem Camp" die Rede, von "Rassismus", von der "Monopolisierung des Camps durch eine bestimmte Gruppe" sowie von der fehlenden "Möglichkeit für die Geflüchteten, sich auszudrücken." Entsprechend bitter heißt es am Ende: "Letztendlich kehren wir, die Geflüchteten, mit sehr großer Enttäuschung in unsere unterschiedlichen Landkreise zurück." Doch nicht nur die problematische Verschiebung von Prioritäten, auch bewegungspolitische Überlegungen sprechen dafür, dass Kritik und Selbstkritik anders formuliert bzw. eingefordert werden sollte, als das in Köln der Fall gewesen ist. Denn soziale Bewegungen sind keine Apparate mit institutionalisierten Strukturen für Vorsitzende, Schatzmeister, Generalsekretäre etc. Im Gegenteil: Es handelt sich um äußerst fragile Gebilde, weshalb bereits ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher linker Bewegungen zeigt, dass nur die Allerwenigsten bereit und in der Lage sind, über längere Zeiträume all zu hohe Konfliktlevel auszuhalten (ablesbar etwa an den zahlreichen, im Zuge des antideutschen Diskurses erfolgten Spaltungen innerhalb der Antifa). Gerade deshalb finden wir es wichtig, dass sich spätestens im Zuge der Globalisierungsbewegung (inspiriert unter anderem von den Zapatistas) in größeren Teilen der radikalen Linken ein insgesamt behutsamerer und kompromissorientierterer Auseinandersetzungsstil etabliert hat - also genau das, was wir in Köln so schmerzlich vermisst haben. c) Campinterne Sicherheitdiskurse: In einer am 4. Tag des Camps publikumswirksam lancierten Kritik seitens der schon mehrfach erwähnten Gruppe hieß es, dass sich PoC ("Person of Colour") und Geflüchtete auf dem Camp unsicher fühlen würden. Begründet wurde dies zum einen mit dem nur unzureichend organisierten Campschutz, zum anderen mit der Existenz von Alkohol und Drogen, die die allgemeine Achtsamkeit schwächen würden und PoC-AktivistInnen ggf. diskreditieren könnten. Als Reaktion auf diese Kritik wurde der Campschutz fortan deutlich intensiviert, was sicherlich kein Fehler war. Und doch blieb ein ausgesprochen fader Beigeschmack. Denn in unseren zahlreichen Gesprächen ist uns keinE einzigeR FlüchtlingsaktivistIn begegnet, die bzw. der sich eigens unsicher gefühlt hätte (d.h. jenseits der leider ohnehin bestehenden Unsicherheiten). Vor allem aber haben alle von uns gefragten FlüchtlingsaktivstInnen darauf hingewiesen, dass sie diese Klage noch von niemandem sonst gehört hätten (und selbst der PoC-Aktivist, der bei der Podiumsdiskussion am Montag-Nachmittag die fehlende Sicherheit vehement an den Pranger gestellt hat, hat seine Kritik im anschließenden persönlichen Gespräch überraschend deutlich relativiert). Vor diesem Hintergrund konnte es nicht überraschen, dass es nicht zuletzt FlüchtlingsaktivistInnen waren, die sich beim Zwischenplenum am Dienstag mit aller Kraft gegen das für die Bar geforderte Verbot von Alkoholverkauf eingesetzt haben - zugunsten einer kollektiven Verantwortlichkeit im Falle davon, dass einzelne zu viel trinken würden. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass wir damit keineswegs ausschließen wollen, dass es sehr wohl einzelne PoC und/oder Geflüchtete gegeben hat, die sich aus den genannten Gründen auf dem Camp unsicher gefühlt haben. Dennoch scheint uns vieles dafür zu sprechen, dass die zwischenzeitlich aufgekommene Stimmung reichlich überzogenen war, wonach sich PoC und/oder 'Geflüchtete' auf dem Camp mehrheitlich unsicher fühlen würden. Mehr noch, die Stimmung war unseres Erachtens unangemessen, wie folgendes Beispiel zeigt: Ein Flüchtlingsaktivist aus Süddeutschland meinte im Gespräch am Dienstag, dass er sich in den ersten Tagen sicher und gut auf dem Camp gefühlt habe. Doch dieses Gefühl sei nach der Thematisierung vermeintlich fehlender Sicherheit schlagartig geschwunden, und zwar so stark, dass er eigentlich schon wieder abreisen wollte - ein Plan, den er erst wieder aufgegeben habe, nachdem er sich seine Stimmung in den ersten Tagen nochmal explizit in Erinnerung gerufen hätte. Und noch etwas in diese Richtung: Eigentlich müsste an dieser Stelle auch der Umgang mit black-block-Dresscodes thematisiert werden - einschließlich der bisweilen verunsicherenden bzw. angstmachenden Effekte, die jene unter anderem für Flüchtlinge und Sans Papiers haben können (wie in Köln in mindestens einem Fall geschehen). Da dies jedoch öffentlich nicht möglich ist, möchten wir direkt zu einigen Schlussfolgerungen kommen: In unseren Augen hat während des Camps ein absolut unverantwortlicher Umgang mit Sicherheitsfragen stattgefunden. Mehr noch: Wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, dass die Sicherheitsfrage gezielt instrumentalisiert wurde, um einmal mehr Kritik am Camp lancieren zu können (nach dem Motto: "weiße Strukturen scheren sich einen Dreck um die Sicherheitsbedürfnisse von PoC und Geflüchteten"). Wir finden das heuchlerisch und politisch fatal, denn unterm Strich ist auf diese Weise nichts anderes passiert, als aus den hegemonialen Sicherheitsdiskursen bereits bestens bekannt ist - Schäuble 2.0 läßt grüßen... d) Ausgeliehene Identitäten: Zu einer der größten Eigentümlichkeiten des critical whiteness-Diskurses im Rahmen des Noborder-Camps gehörte zweifelsohne das Phänomen der geliehenen Identitäten, also davon, dass es - wie auf Rückfrage bestätigt wurde - die Position der PoC keineswegs von der Hautfarbe oder ähnlichen 'Erscheinungen' abhängen würde. Bemerkenswert war jener Kniff vor allem deshalb, weil er weißen AktivistInnen eine für den critical whiteness-'Laien' unerwartete Sprechposition einräumte: Nicht nur durften diese mit der gleichen Entschiedenheit und Wut auftreten, wie ihre 'echten' PoC-KollegInnen. Vielmehr hat das auch die Möglichkeit eröffnet (und auf dieses Argument wurde im Rahmen des Vorbereitungsprozesses mindestens zweimal zurückgegriffen), AktivistInnen aus Afrika allen Ernstes zu erklären, dass sie weißer als Weiße aus Europa sein und daher ebenfalls Rede-Stopps erhalten könnten - jedenfalls dann, wenn sie vorgeblich weiße und somit falsche Positionen vertreten würden. Auf jeden Fall dürfte nur so der Umstand erklärbar sein, dass viele der in diesem Papier erwähnten Statements von FlüchtlingsaktivistInnen aus Togo, Nigeria oder Uganda im Rahmen der Camp-internen Debatten ganz offensichtlich weniger ins Gewicht gefallen sind als die von anderen PoC formulierten (critical whiteness) Positionen. e) Anmaßende Forderungen im Namen von critical whiteness: Die Problematisierung der Sicherheits- und Alkohol- bzw. Drogenfrage war lediglich Teil einer in drei Sprachen knapp eine Stunde lang vorgetragenen Gesamtabrechnung mit dem Camp, bei der insgesamt sieben Punkte angesprochen wurden (jedenfalls in unserer Erinnerung): Neben den schon genannten Themen ging es um die Ablehnung von Fleischverzehr auf dem Camp (was bis dahin nur einige Roma-Familien auf mitgebrachten Grills praktiziert hatten), um die Ablehnung von Kooperation mit Mainstream-Medien sowie Polizei, um Kritik an fehlender Bereitschaft zur Moderation auf dem Camp sowie um eine kritische Auseinandersetzung mit der inneren Verfasstheit der mehrheitlich weiß zusammengesetzten Awarenessgruppe. Viele dieser Forderungen bzw. Themen begleiten soziale Bewegungen bereits seit Jahrzehnten (insbesondere die Frage nach Umgang mit Medien, Polizei und Fleischverzehr). Vor diesem Hintergrund scheint uns auch hier eine krasse Instrumentalisierung des critical whiteness-Diskurses zum Tragen gekommen zu sein, einzig um eigene Positionen autoritär durchsetzen zu können, und zwar zu Fragen, von denen viele im Rahmen des Vorbereitungsprozesses des Camps lang und ausgiebig diskutiert und konsensual entschieden worden sind (wie z.B. der Umgang mit Presse). f) Plena & kollabierende Debatten: Bislang war noch jedes Nobordercamp seit 1998 Ort für intensive politische Debatten, in Köln sind diese allerdings weitgehend ins Wasser gefallen. Das hatte zum einen damit zu tun, dass viel Zeit und Energie für praktische Fragen draufgegangen ist - beispielsweise hat sich das gesamte Zwischenplenum weitgehend um infrastrukturelle Fragen gedreht, insbesondere die bis nach Mitternacht weilende Alkoholdebatte. Zum anderen gab es immer wieder explizite Sprechverbote: So stellte die schon öfter erwähnte Gruppe im Vorfeld und während des Camps insgesamt 4 Mal eine Plenumssituation her, in der sich ihre VertreterInnen lang und ausführlich zu selbst vorgegebenen Themen äußern durften, alle anderen jedoch ihre Klappe halten mussten - und dieses leider auch getan haben. Vor diesem Hintergrund weisen wir die immer wieder lancierte Behauptung explizit zurück, wonach es im Camp keine Offenheit gegeben habe, sich mit der aus PoC-/critical whiteness-Perspektive formulierten Kritik auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: Es gab große Offenheit, eine diesbezügliche Auseinandersetzung zu führen, wie unter anderem aus der Infobroschüre des Camps sowie zahlreichen im Vorfeld verschickten Papieren deutlich wurde - inklusive des oben schon erwähnten alternativen Camp-Aufrufs sowie eines gut besuchten Thementags zu critical whiteness auf dem Camp selbst. Insofern sei hier auch betont, dass die in diesem Zusammenhang immer wieder bemühte Figur psychologisch äußerst simplifizierend ist, wonach Kritik an bzw. Nicht-Übereinstimmung mit der im Camp dominierenden Variante des critical whiteness-Konzeptes Ausdruck von Abwehr sei und dass daher ein konfrontatives Vorgehen gleichsam unumgänglich wäre (eine These, die wir im Rahmen der Vorbereitung schon mal schriftlich ausgeführt hatten und bei Bedarf gerne zur Verfügung stellen). g) Repressives Verhalten: Nicht nur die allgemeine Kommunikation sollte auf dem Camp reglementiert werden, auch ansonsten herrschte ein äußerst autoritärer Stil, der in vielerlei Hinsicht an den Habitus maostischer K-Gruppen in den 1970er Jahre zu erinnern schien (um nur eine von mehreren immer wieder als Vergleich herangezogenen Parallelen aus der Geschichte linker Bewegungen im 20. Jahrhundert zu zitieren): So wurden unter Verweis auf angeblichen "Kulturkannibalismus" an Dreadlocks-TrägerInnen kleine Zettelchen mit der Aufforderung "Cut it off!" verteilt und somit ein absolut starrer, ja ethnisch aufgeladener Kulturbegriff gegen jede Variante hybrider Widerstandskultur propagiert (worunter wir logischerweise nicht ein plumpes multikulturelles 'Vermischungs'konzept verstehen). Des weiteren ist es wiederholt vorgekommen, dass weiße (PoC-)AktivistInnen versucht haben, andere weiße AktivistInnen aus Plena-Situationen 'rauszubegleiten' (ohne dass diese darum gebeten hätten), einfach weil sie emotional zu aufgeregt gewesen sein sollen oder "master suppression techniques" wie Augenrollen oder kritische Mimik angewandt hätten. Ebenfalls allgegenwärtig ist die ständige Kritik an vermeintlich falscher Begrifflichkeit gewesen: Als beispielsweise im Abschlussplenum ein langjähriger The Voice-Aktivist aus Nigeria von sich als "victim/Opfer" sprach (allerdings in selbstermächtigender Perspektive), wurde er sofort auf die Notwendigkeit diskriminierungsfreier Sprache hingewiesen: statt "victim/Opfer" sei es angebrachter, von "negativ von Diskriminierung Betroffenen" zu sprechen. Wir müssen gestehen, dass derlei Dreistigkeiten jene Momente gewesen sind, wo einem buchstäblich der Atem stockte und sich ernsthaft die Frage aufdrängte, ob es sich beim Nobordercamp überhaupt noch um eine politische Veranstaltung handeln würde. Wie auch immer - spätestens an dieser Stelle scheint auch die Bigotterie der von einigen PoC-/critical whiteness-AktivistInnen artikulierten Kritik an fehlender Moderationsbereitschaft deutlich zu werden. Denn viele Leute hatten sich bereits vor dem Camp entschieden (so auch wir), unter solchen Bedingungen weder moderieren zu wollen noch zu können - im übrigen auch deshalb, weil es bei einem Vorbereitungstreffen in Köln Anfang Juni zu einer tribunalartigen Kritik gegenüber zwei konkreten Personen gekommen war. h) Pseudo-Selbst-Positionierungen: Unter PoC-/critical whiteness-AktivistInnen ist es mittlerweile üblich geworden, sich vor einem mündlichen oder schriftlichen Redebeitrag selber zu positionieren und somit die eigene Verortung im Rahmen gesellschaftlicher Entrechtungs- oder Privilegierungsverhältnisse explizit sichtbar zu machen - in etwa folgendermaßen: "ich spreche aus weißer Perspektive, bin frauisiert, profitiere von meiner Mittelschichtsherkunft und Abelism, erhalte Bafög etc.". Gewiss, kritisch die eigene gesellschaftliche Positionierung zu reflektieren, halten wir für eine der zentralen Voraussetzungen (gemischter) politischer Arbeit! Aber nicht so, nicht ritualhaft - und vor allem nicht in Situationen, in denen die entsprechenden Informationen mit keinerlei Erkenntnisgewinn einhergehen (worauf am Thementag zu critical whiteness im Übrigen auch die critical whiteness-Trainerin Urmila Goel kritisch hingewiesen hat, ohne damit allerdings auf größeres Gehör zu stoßen). Wir erwähnen dies, weil derartige Selbst-Positionierungen ungewollter- bzw. paradoxerweise einen weiteren Beitrag zur identitätspolitischen Zuspitzung der politischen Debatte leisten. Denn dadurch steht im Zentrum der Aussage nicht mehr, welche Überzeugungen eine Person hat, wo sie hin will, welchen Bruch sie mit den Verhältnissen anstrebt. Nein, im Zentrum steht jetzt, wo eine Person herkommt, mit der Konsequenz, dass soziale Konstrukte wie 'Mann', 'Migrantin', 'Inhaberin eines deutschen Passes' etc. verstärkt und nicht etwa in Frage gestellt werden, wie auch eine Rednerin im Abschlussplenum mit Verweis darauf anmerkte, dass sie sich zwar als Person mit iranischem Hintergrund "selbst-stereotypisieren" könnte, genau darauf aber explizit verzichten würde. Hinzu kommt, dass derlei Bekenntniszwang eine ganz offensichtlich einschüchternde Wirkung hat - einfach weil unweigerlich die Frage auftaucht (und dies ist während des gesamten Campprozesses der Fall gewesen), ob dies mittlerweile zum guten bzw. korrekten Ton gehöre. [Nachträgliche Anmerkung: Unsere Kritik der identitätspolitischen Aufladung des critical whiteness-Konzepts wurde von manchen Leuten dahingehend verstanden, dass wir Identitätspolitiken grundsätzlich ablehnen würden. Wir möchten daher ausdrücklich betonen, dass in unseren Augen gemischte Organisierung und Selbstorganisierung all jener, die von Marginalisierung, Diskriminierung und Gewalt betroffen sind, unabdingbar zusammengehören (ganz gleich, ob es um PoC, Flüchtlinge, Transgender oder Abgeschobene in Mali geht). Im postkolonialen Diskurs ist diesbezüglich von "strategischer Identitätspolitik" (Gayatri Chakravorty Spivak) die Rede - eine Vorgehensweise, die ein Mitglied unserer Gruppe anlässlich des 5. Grenzcamps 2002 in Jena in einem längeren Debattentext vorgestellt hat: http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/themen_extra3.htm (vgl. insbesondere den Abschnitt "Vom weißen Antirassismus zur trans-identitären, mehr noch: zur hybriden Organisierung").] III. Awareness (Umgang mit Diskriminierung und Gewalt auf dem Camp) Am Ende sind es aber nicht die bislang erwähnten Prozesse gewesen, die zum Beinah-Kollaps des Camps geführt haben, sondern eine als "rassistische Gewalt" bezeichnete Situation, von der die als Täterin benannte Person bis heute nicht weiß, was passiert sein soll - und das, obwohl sie aufgrund des Vorwurfs das Camp verlassen sollte. Die damit verknüpften Vorgänge zeigen unseres Erachtens vor allem, was passiert, wenn mit dem Konzept von Definitionsmacht leichtfertig umgegangen wird und sich dies obendrein mit einem autoritären und identitätspolitischen Selbstverständnis von critical whiteness verschränkt. Wir möchten deshalb abschließend etwas näher auf die entsprechenden Vorgänge eingehen: a) Vorlauf: Am Dienstag hat von agisra (einer Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen) ein Workshop zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus stattgefunden. Dieser überwiegend von weißen CampteilnehmerInnen besuchte Workshop ist aus Sicht von vielen schlecht gelaufen - auch aus Sicht der Veranstaltungsmacherin selbst (kritisiert wurde unter anderem ein unsensibler Umgang mit dem Thema "transgender" sowie der Umstand, dass viele als rassistisch bzw. diskriminierend empfundene Statements von weißen TeilnehmerInnen folgenlos artikuliert werden konnten). Vor diesem Hintergrund teilte sodann eine Vertreterin aus den Awareness-Strukturen einer auf dem Camp befindlichen Mitarbeiterin von agrisra mit, dass der zweite von agisra geplante Workshop nicht durchgeführt werden könne. Stattdessen solle zur gleichen Zeit und im gleichen Zelt eine Veranstaltung stattfinden, in der erklärt würde, was auf dem agisra-Workshop schlecht gelaufen sei. Zudem hieß es, dass Mitarbeiterinnen von agisra zwar kommen könnten, sich allerdings nicht zum Workshop äußern dürften. Dieser Vorgang wiederum wurde von mehreren Personen am Donnerstag ins morgendliche Delegierten-Plenum getragen, und das deshalb, weil es aus ihrer Sicht nicht ginge, dass eine einzelne Gruppe auf dem Camp darüber entscheiden könne, den Workshop der fast ausschließlich von Migrantinnen getragenen Beratungsstelle agisra auf dem Noborder-Camp abzusagen. Im Zuge des Deli-Plenums sprach sich sodann die große Mehrheit der Anwesenden dafür aus (jedenfalls derer, die etwas gesagt haben), dass eine solche Entscheidung ausschließlich vom Deli- oder vom Gesamt-Plenum getroffen werden könne, allerdings nur mit Vorlauf und unter der Voraussetzung, dass auch Leute vor Ort sind, die an dem ersten Workshop teilgenommen hätten (was im Deli-Plenum nicht der Fall gewesen ist). Indes: Dieses Diskussionsergebnis konnte nicht beschlossen werden, da eine Person - wie im konsensual verabschiedeten Protokoll vermerkt wurde - ein Veto eingelegt hatte, mit der Konsequenz, dass eine Art Patt zwischen Deli-Plenum und Awareness-Strukturen eingetreten war. Nichtsdestrotz blieb der zweite agisra-Workshop abgesetzt, stattdessen erklärten - wie angekündigt - zwei PoC, weshalb sie die Äußerungen und Verhaltensweisen weißer TeilnehmerInnen bei dem Workshop als rassistisch bzw. verletztend empfunden hätten. Als sich die Macherin des zweiten agisra-Workshops dazu äußern wollte, erhielt sie umgehend Redeverbot (da es nicht um den Workshop, sondern weiße Dominanzstrukturen auf dem Camp gehen solle). Als sie mit Verweis darauf weiterredete, dass sie vor über 20 Jahren aus dem Iran geflohen sei und sich nicht den Mund verbieten lasse, wurde das Rede-Stopp eneuert, so dass sie umgehend das Zelt verließ (nicht aber ohne anschließend kurz mit den betreffenden PoC selbst gesprochen zu haben - während den übrigen Anwesenden gleichzeitig eine Diskussion der Vorfälle beim Dienstag-Workshop explizit untersagt wurde). b) Ansprache: Am Freitag passierte es nun, dass eine weiße Frau von zwei jungen Männern um 13 Uhr beim Verlassen des Camps gefragt wurde, wie ihr das Camp bislang gefallen habe und ob sie vorhabe abzureisen. Die angesprochene Person war zwar ob der Unvermittelheit der Frage erstaunt, glaubte aber, dass es sich um eine campinterne Umfrage handeln würde und ließ sich daher kurzfristig auf das Gespräch ein. Doch dieses währte nur kurz, denn die beiden Männer meinten sodann, dass all dies nicht von Interesse sei und teilten der Frau stattdessen mit, dass sie eine Person rassistisch verletzt habe und daher das Camp verlassen solle. Als die Angesprochene fragte, worin denn der Vorwurf bestünde, wurde ihr lediglich mitgeteilt, dass sie dies nichts anginge. Das war der Grund, weshalb sie erwiderte, dass sie unter dieser Bedingung auf jeden Fall zurückkäme - nicht aber ohne nochmal zu betonen, dass sie selbstverständlich bereit sei, sich mit den konkreten Vorwürfen auseinanderzusetzen. Kurze Zeit darauf erfolgte eine zweite Ansprache, jetzt wurde ein Genosse aus ihrer Gruppe von zwei Personen gefragt (wobei mindestens eine von ihnen 'formelles' Mitglied der Awarenessgruppe war), ob er wisse, wie sich die Angesprochene zu verhalten gedenke. Weil er bereits via Telefon über den Vorwurf informiert worden war, entgegnete er zunächst, dass sie auf jeden Fall zurückkäme, konkretisierte dann allerdings nach Rücksprache mit seiner Bezugsgruppe (wozu auch wir gehörten), dass die Frau bereit wäre, vor ihrer Rückkehr unter Beteiligung von zwei Leuten aus dem Out-of-action-Zelt außerhalb des Camps ein Gespräch mit VertreterInnen der Awareness-Strukturen zu führen, um zu erfahren, worin denn der Vorwurf überhaupt bestünde - als Voraussetzung dafür, sich konkret ins Verhältnis setzen zu können. Zugleich wurde dem Vertreter der Awareness-Gruppe allerdings auch mitgeteilt, dass die Art der Ansprache der beschuldigten Person sämtliche Mindeststandards von Awarenessarbeit verletzen und insofern eher an die Ansprache durch Geheimdienstmitarbeiter als an seriöse Unterstützungs- und/oder Konfrontationsarbeit erinnern würde. c) Nachforschungen: Bermerkenswert war nun allerdings, dass ab diesem Zeitpunkt (Freitag, ca. 16.30 Uhr) gar nichts mehr passierte, d.h. von der Awarenessgruppe ist auf das Gesprächsangebot nicht die geringste Antwort gekommen. Stattdessen tauchten Samstag-früh jene Zettel an den Toiletten-Häuschen auf, die zum eingangs erwähnten Streik des Info-Zelts geführt haben und in denen es unter anderem hieß: "Ich will von euch nicht als PoC oder Ähnliches identifiziert werden und mich selbst definieren, deswegen habe ich bei dem Workshop am Dienstag nicht teilgenommen, als ich aber dachte, meine Meinung könnte wichtig sein, wurde ich durch Mobbing aus einer Diskussion verjagt, bei der die teilnehmenden Parteien nicht auf Augenhöhe diskutiert haben. ( ) Da es mir durch die Betroffenheit nicht möglich ist, an diesem Camp teilzunehmen, fordere ich, dass auch die Gewalt ausübende Person das Camp zu verlassen hat." Vor diesem Hintergrund ging am Sonntag ein Mitglied der Bezugsgruppe der Angesprochenen zur Awareness-Gruppe und fragte, warum denn aus dem angebotenen Gespräch nichts geworden sei und weshalb bis heute keine Mitteilung über den konkreten Vorwurf erfolgt wäre. Überraschenderweise stellte sich im Laufe dieses Gespräches dann heraus, dass das Gesprächsangebot von Freitag-Nachmittag seitens des Mitglieds der Awareness-Gruppe gar nicht an die Awareness-Strukturen weitergeleitet worden ist, was logischerweise keine Kleinigkeit ist, denn immerhin beruht ja auf der vermeintlichen Nicht-Bereitschaft zur Auseinandersetzung die ganze Skandalisierung des Geschehens. Zweitens wurde aber auch deutlich, dass offensichtlich auch innerhalb der Awareness-Gruppe nicht wirklich bekannt ist, worum es überhaupt geht, weshalb wir an dieser Stelle unsere Vermutung öffentlich mitteilen möchten: Entweder es handelt sich um eine Verwechslung (was wir uns durchaus vorstellen könnten, ohne dies näher ausführen zu wollen) oder aber der Vorwurf besteht darin, dass die benannte Person in ihrer Eigenschaft als Moderatorin auf dem Deli-Plenum am Donnerstag am Zustandekommen des per Veto gestoppten Beschlusses beteiligt war, wonach es NICHT anginge, dass agisra von einer einzelnen Gruppe vom Camp ausgeladen werden sollte (dies schließen wir daraus, dass sich die angesprochene Person an keiner anderen Stelle je öffentlich zu den Vorgängen rund um den agisra-Workshop geäußert hat, zumal sie diesen auch gar nicht besucht hatte). d) Schlussfolgerungen: Unseres Erachtens zeigt all dies, dass die Arbeit der Awareness-Gruppe in jedweder Hinsicht problematisch war, und zwar allen Beteiligten gegenüber: Erstens können Ansprachen nicht unter Rückgriff auf bewusst in die Irre führende Tricks erfolgen ("wie hat dir das Camp gefallen?"), erforderlich ist vielmehr, dass sich Mitglieder einer Awarenessgruppe kurz in ihrer Rolle vorstellen und dafür einen halbwegs diskreten Rahmen wählen (beispielsweise: "können wir mal kurz 50 Meter nach links gehen?"). Zweitens geht es nicht, dass sich in die Arbeit einer Awareness-Gruppe plötzlich Leute einmischen, die formal gar nicht Teil von dieser sind. Wir betonen das, weil eine solche Einmischung zu einer Schreierei zwischen zwei an dem ganzen Vorgang eigentlich unbeteiligten Personen geführt hat, die wohl den Ausschlag dafür gegeben hat, dass die betroffene Person endgültig das Camp verlassen hat (die Gründe für diese Schreierei haben mit dem Verhältnis der Beteiligten zu tun und sollen daher unausgeführt bleiben). Drittens geht es nicht, auf jede Benennung davon zu verzichten, worin der Vorwurf überhaupt besteht - mindestens Ort, Zeitpunkt und das konkrete Verhalten müssen benannt werden, allein deshalb, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sich die benannte Person tatsächlich zurückzieht (wobei klar ist, dass die betroffene Person bei Bedarf anonym bleiben kann). Viertens ist es völlig unakzeptabel, eine Person zu konfrontieren, dann aber zu vergessen, ihre entsprechende Antwort an die für die Unterstützung zuständigen Personen zurückzutragen (gemeint ist die Offenheit für ein Gespräch außerhalb des Camps mit Leuten aus der Awareness-Gruppe). Fünftens zeigt der Fall, zu welch krassen Konsequenzen eine inhaltliche nicht näher bestimmte Ausweitung des Geltungsbereichs von Defintionsmacht führen kann - insofern sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Vorfeld des Camps nicht nur die Noborder-Gruppe aus Aachen, sondern auch wir in einem langen Papier unter dem Titel "Definitionsmacht anders ausbuchstabiert" explizit begründet haben, weshalb das Konzept der Definitionsmacht ausschließend auf körperliche Übergriffe sowie verbale Bedrohungen oder gezielte Beleidigungen beschränkt bleiben sollte (anstatt unter dem Schlagwort des "erweiterten Gewaltbegriffs" einen immer größeren Anwendungsbereich zugesprochen zu bekommen). Grundsätzlich hat sich in dem gesamten Vorgang ein äußerst verantwortungsloser Umgang mit Awareness-Arbeit gezeigt. In dem Gespräch mit einem Vertreter der Awarenessgruppe am Sonntag Morgen wurde vor allem deutlich, dass es innerhalb der verantwortlichen Strukturen nicht das geringste Problembewusstsein dafür gegeben hat, inwieweit ein starkes Instrument wie die Defintionsmacht eines genau geregelten Umgangs bedarf (inklusive genau abgegrenzter Zuständigkeitsbereiche), weil ansonsten die Dinge auf unterschiedlichen Ebenen aus dem Ruder zu laufen drohen - inklusive des "Vergessens" zentraler Aufgabenfelder. Vor diesem Hintergrund schien es letztlich auch nicht überraschend, dass größere Teile der Awareness-Gruppe des Nobordercamps das eben erwähnte und kurz vor dem Camp verschickte 4-seitiges Papier zu einem anderen Verständnis von Defintionsmacht vor und während des Camps schlicht nicht zur Kenntnis genommen hatten (und das obwohl es bereits seit längerem angekündigt war und auch auf dem Camp in 100-facher Ausführung ausgelegen hat). Dies ist für uns nicht nur schwer nachvollziehbar, weil wir denken, dass eine Awarenessgruppe zumindest sämtliche der sie betreffenden Stellungsnahmen zur Kenntnis nehmen sollte (denn davon hängt ihre Unterstützung und Legitimität ganz wesentlich ab). Vielmehr ist es in diesem Papier nicht zufällig just um jene Fragen und Probleme gegangen, die jetzt verhandelt werden - nicht zuletzt unter Verweis auf die von uns 2003 erstmalig auf einem Noborderamp ins Leben gerufene "Ansprechgruppe im Falle sexistischer Übergriffe". Um zu retten, was zu retten ist, sei daher zumindest hier der Link zu den inzwischen auf der Campwebseite online gestellten Texten angegeben. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass die als Täterin benannte Person weiterhin bereit ist, sich mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, vorausgesetzt, er wird ihr überhaupt mitgeteilt. Für ein anderes
Verständnis von Defintionsmacht: http://noborder.antira.info/de/texts/definitionsmacht-anders-ausbuchstabiert-2/
IV. Ausblick So schwer es fallen mag, wir möchten das vorliegende Papier nicht ohne Ausblick nach vorn beschließen. Denn dies sind wir insbesondere denjenigen unter uns schuldig, die tagtäglich mit rassistischer und anderer Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung konfrontiert sind: a) Noborder 2013: Seitens der in diesem Text mehrfach erwähnten PoC-/critical whiteness-Gruppe (samt Umfeld) ist im Rahmen des Kölner Noborder-Camps die Initiative für ein Noborder-Camp 2013 in Berlin gestartet worden. Inwieweit vor dem Hintergrund der Vorgänge in Köln eine weitere Zusammenarbeit denkbar ist, sei dahingestellt. Fakt ist allerdings - und darauf haben beim Abschlussplenum AktivistInnen aus Belgien explizit hingewiesen - dass "Noborder" ein kollektives Projekt ist und daher auch kollektiver Entscheidungsprozesse bedarf. b ) Für ein anderes Verständnis von critical whiteness: Das in Köln stark gemachte Verständnis von critical whiteness ist bei weitem nicht die einzig denkbare Variante - so viel dürfte deutlich geworden sein. In diesem Sinne möchten wir für ein Verständnis von critical whiteness plädieren, in dessen Zentrum gemischte Organisierungs- und Interventionsprozesse stehen - bei gleichzeitiger Unterstützung von migrantischer und Flüchtlingsselbstorganisierung (letzteres je nach Bedarf). Eine solche Ausbuchstabierung von critical whiteness ist im übrigen keinesfalls neu, sie hat bereits 2002/2003 im Gründungsprozess des mehrheitlich von FlüchtlingsaktivistInnen getragenen NoLager-Netzwerks eine ausschlaggebende Rolle gespielt - damals unter dem Stichwort der "transidentitären Organisierung". c) Stichwort 'gemischte Organisierung': Diese ist unseres Erachtens im Rahmen des Kölner Camps eindeutig zu kurz gekommen - nicht nur im Vorfeld, sondern auch während des Nobordercamps. Entsprechend sollte sich bei einem zukünftigen Nobordercamp von Anfang an um eine gemischtere Zusammensetzung bemüht werden, was allerdings voraussetzt, sich ungleich offensiver auf soziale und/oder politische Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen zu beziehen, als dies in Köln der Fall gewesen ist. In diesem Sinne ist es keineswegs zufällig, dass wir abschließend auf das von The Voice Refugee Forum und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen gemeinsam organisierte "Break Isolation Camp" hinweisen möchten, das vom 23. August bis 2. September unter dem Titel "Solidarität gegen das koloniale Unrecht und die Angriffe auf unsere Leben" in Erfurt stattfinden wird: http://www.thecaravan.org/refugeecamp2012 NoLager Bremen: Juli 2012 P. S. Mittlerweile
ist um die Vorgänge in Köln auch im Netz sowie in der jungle-world
eine vergleichsweise intensiv geführte Debatte losgetreten worden,
zum Teil allerdings in bedenklicher, ja grenzwertiger Tonlage. Mehr dazu
unter anderem hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/64408 + |
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