Münchener
Kessel beim Weltwirtschaftsgipfel 1992
Am
4.-8.Juli 1992 trafen sich Regierungschefs und Finanzminister der sieben
wichtigsten Industriestaaten der Welt zum Weltwirtschaftsgipfel in München.
Die Proteste zehntausender GipfelgegnerInnen in der bayrischen Metropole
stießen auf brachiale Gewalt von Sonderkommandos bestehend aus USK
und SEK. Diese drängten die Menge hinter den Marktplatz, wo es zum
berühmten "Münchner Kessel" kam.
Im Frühjahr 1992, befand sich die linke autonome Bewegung nicht unbedingt
auf dem Höhepunkt ihrer Aktivitäten. Die Nachwehen der Wiedervereinigung
mit der damit verbundenen vorübergehenden Desorientierung waren noch
deutlich spürbar, die großen Bauzaun-Schlachten gegen Startbahnen
und AKW lagen Jahre zurück, und gegen die grassierende Welle neofaschistischer
Gewalt in Ostdeutschland hat die bundesweite Linke keinen Aktionskonsens
gehabt, von punktuellen Erfolgen wie den Angriffen auf eine FAP-Demo in
Leipzig im Frühjahr 92 abgesehen. Mitten in diese Lethargie kommt
die Mobilisierung zum Weltwirtschaftsgipfel in München Anfang Juli
1992. Wir als norddeutsche Gruppe von AktivistInnen sind skeptisch, sowohl
was die Großdemo als auch die Aktionstage im Münchner Stadtgebiet
anbelangt. Zwar hatten wir schon 1985 in Bonn gegen den WWG und 88 in
Berlin gegen IWF demonstriert, und bei beiden Ereignissen massive Repression
hautnah miterlebt...aber ein solches Ereignis im Law-And-Order-Freistaat
Bayern, noch dazu in München??? Bei einigen werden beim Stichwort
Bayern Erinnerungen an Wackersdorf wach, an das, was im Tschernobyl-Sommer
1986 an Massenaktionen möglich war. Wir beschlossen, auf jeden Fall
nach München zu fahren, obwohl die Erfolgsaussichten von Aktionen
im Vorfeld sehr unterschiedlich bewertet wurden.
An dieser Stelle für die AktivistInnen der jüngeren Generation
ein kurzer "historischer" Rückblick zum besseren Verständnis:
Der Weltwirtschaftsgipfel (optional auch G7- bzw. G8-Gipfel genannt) fand
insgesamt dreimal in den letzten 30 Jahren in Deutschland statt: Im Mai
1985 in Bonn, im Juli 1992 in München und - vielen noch bekannt -
im Juni 2007 in Heiligendamm. Die Mobilisierung nach Bonn und München
würde ich im Rückblick als ungefähr gleichwertig bezeichnen,
die von Heiligendamm war um einige Nuancen höher. Zu den zentralen
Gegendemos in Bonn, München und Rostock kamen ungefähr gleich
viele Menschen, jeweils ca. 25 - 35 000 TeilnemerInnen.
Am Samstag, den 4. Juli, fuhren wir frühmorgens aus dem hohen Norden
nach München, zur zentralen Großdemo gegen den WWG. Im Vorfeld
hatte es bereits Repressionen auf lokaler Ebene gegeben (vergleichbar
mit den G8-Razzien im Mai 2007), als im Frühjahr in München-Haidhausen
und im Nürnberger KOMM Vorbereitungsplenen durch die Polizei gestürmt
wurden.
Wir rechneten demnach in München mit mehr Repression als in anderen
deutschen Städten und hatten uns im Vorfeld darauf geeinigt, Motorradmasken,
Helme, Armschützer etc. sowie den obligatorischen schwarzen Lederdress
aus 80er-Jahre-Zeiten erst gar nicht mitzunehmen.
Bereits auf dem Münchner Autobahnring, am frühen Morgen, endlose
Staus. Der Grund war schnell klar: exzessive Vorkontrollen an unzähligen
Kontrollpunkten. Gesucht wurde alles, was irgendwie "links",
"autonom" oder "nichtbürgerlich" aussah. Nach
einer umfangreichen Kontrollprozedur erreichten wir den Münchner
Marienplatz, den Ort der Auftaktkundgebung.
Hier erwartete uns der nächste Kontrollgürtel - jeder Demo-Teilnehmer
wurde abgetastet, durchsucht etc. In dieser Form hatten wir das zuvor
selten erlebt. Dann kam die Großdemo - an die 30 000 waren gekommen.
Während der gesamten Demo immer wieder massive Polizeiangriffe auf
die Demo, die damals noch neuen Sondertruppen der bayerischen Polizei
- heute als USK überall bekannt - führten ihre neuartigen "Zugriffstaktiken"
vor und knüppelten an mehreren Stellen meterweit in die Demo. Ein
solches massives polizeiliches Vorgehen gegen eine völlig gewaltfreie
Demo, aus der bis dahin kein einziger Steinwurf o.ä. Aktionen erfolgte,
hatte ich in all den Jahren nur einmal erlebt, bei der zentralen IWF-Demo
im September 88 in Berlin.
Überhaupt waren die Münchner Repressionen mit denen vom Berliner
IWF nahezu identisch.
Neu war ebenfalls, dass an mehreren Kreuzungen, die die Großdemo
passierte, demonstrativ zahlreiche SEK-Einheiten aus verschiedenen Bundesländern
bereitstanden, damals noch deutlich erkennbar an ihren grauen Kampfanzügen
mit schusssicheren Westen. Drohkulisse war scheinbar das Motto der Polizeiführung.
Nachdem diese Großdemo trotz permanenter Provokationen und Repressionen
(überraschenderweise) völlig friedlich und ohne Folgeaktionen
über die Bühne ging, kam der Montag, der Tag, an dem am Münchner
Max-Joseph-Platz Kohl zum großen Parade-Foto-Shooting für die
Weltpresse gebeten hatte.
Nur einige wenige hundert AktivistInnen, die die Samstagsdemo nicht zermürbt
hatte, machten ihrem Unmut durch Trillerpfeifen Luft. Keine autonomen
AktivistInnen, keine Eier, Steine etc., nur Trillerpfeifen.
Die von der Samstagsdemo bereits bekannte bundesweite "Crème
de la Crème" aus USK und diversen SEK drängten die Menge
mit Brachialgewalt hinter den Marktplatz, wo es zum berühmten "Münchner
Kessel" kam... eingepfercht auf engstem Raum, kamen die Elitepolizisten
und holten eine(n) nach dem anderen mit massiver Brutalität aus dem
Kessel. Der "Hamburger Kessel" auf dem Heiligengeistfeld, sechs
Jahre später in Münchner Neuauflage. Heute noch zornig macht
mich nicht die Einkesselung an sich, die hatte ich schon beim Reagan-Besuch
1987 in Berlin und auch danach noch einmal in Essen 1994 erlebt, zornig
macht mich die völlig unbegründete und überzogene Brutalität,
mit der USK und SEK AktivistInnen, die keinerlei Gegenwehr leisteten,
mit Stockschlägen, Hieben, Tritten zu Boden brachten, fesselten und
danach abführten.
Später dann, im völlig überfüllten polizeilichem Gewahrsam,
sah ich, dass es auch einige honorige Persönlichkeiten "erwischt"
hatte. Ein bekannter Redakteur der Süddeutschen Zeitung war ebenfalls
in der Großraumzelle gelandet.
Das alles ist jetzt 20 Jahre her und der Sommer 1992 bleibt für mich
heute noch unvergesslich. So wie die Stimmung im Sommer 1986 nach den
Ereignissen von Brokdorf und Wackersdorf heute noch mit dem Wort "Euphorie"
zu beschreiben ist, war sie im Sommer 1992 schlichte "Resignation".
Massive Polizeigewalt in München, und dann wenige Wochen später
das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, die viel zu späte bundesweite
Mobilisierung der Bewegung... aber das ist eine andere Geschichte.
Trotz aller Repressionen von München gelang im Rückblick eine
starke und sehr große Gegendemo; das Polizeikonzept, durch ständige
Angriffe die Demonstration zum Kippen zu bringen, scheiterte. Man tappte
nicht in die "Eskalationsfalle". Nach dem Münchner Kessel
am selben Abend folgten bundesweite Aktionen von AktivistInnen, die zuhause
geblieben waren, Glasbruch von Göttingen bis Hamburg... und am Ende
das Fazit, dass - gemessen an Münchner Verhältnissen - durchaus
ein breiter, tagelanger und zahlenmäßig imposanter Protest
möglich war, nicht zuletzt durch die Beteiligung Tausender aus verschiedenen
Ländern.
Bernd T. (Bericht vom Frühjahr 2012)
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