Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 1 / 1199d
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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Das ist eine naive, ursprüngliche Neugier des Kerala-Menschen, eine Form der Anteilnahme, die uns Europäern lange verlorengegangen ist und die man nicht auf die Waagschale irgendeiner Wertung legen oder mit unseren Maßstäben messen soll. Der Kerala-Mensch ist ein sinnlicher Mensch: er will sehen, sprechen, berühren, fühlen; er will empfinden, und er äußert diese Wünsche spontan und unbefangen. Die Worte einer deutschen Touristin kamen mir in den Sinn: "Huh!", hatte sie gerufen, "ich ging in meiner Absteige die Treppe hinunter, als zwei junge Inder mir entgegenkamen. Als sie mich erblickten, leuchteten ihre Augen freudig auf, und sie kamen auf mich zu und packten meine Brüste!..."


Ich sah die schockierte Touristin mit den jungen Indern an ihrer Brust vor mir, wenn ich in Leons sinnenfrohe Augen sah. In diesem Hotel schien er in seiner Tätigkeit als Manager wenig Gelegenheit zu haben, seinen Lebenshunger zu befriedigen und das Übermaß an Kraft auszuleben, das in ihm steckte. Nur am Abend, eben vor Sonnenuntergang, sah ich ihn mit den Hotelboys hinter dem Haus ein Federballdoppel spielen.
Später lehnte er mit aufgestützten Armen wie ein Hotelgast vor der Rezeption. Hinter dem Pult saß der diensthabende Nachtportier. Dann und wann flimmerte der Farbfernseher, der auf einer Konsole in der Rezeption stand, und die beiden schauten sich gelangweilt das far-benprächtige Eröffnungsspektakel des neu erbauten Stadiums in Madras an, das feierlich nach dem in Tamil Nadu ermordeten Rajiv Gandhi benannt worden war.
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