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Das ist eine naive, ursprüngliche Neugier des Kerala-Menschen,
eine Form der Anteilnahme, die uns Europäern lange verlorengegangen
ist und die man nicht auf die Waagschale irgendeiner Wertung legen
oder mit unseren Maßstäben messen soll. Der Kerala-Mensch
ist ein sinnlicher Mensch: er will sehen, sprechen, berühren,
fühlen; er will empfinden, und er äußert diese Wünsche
spontan und unbefangen. Die Worte einer deutschen Touristin kamen
mir in den Sinn: "Huh!", hatte sie gerufen, "ich ging
in meiner Absteige die Treppe hinunter, als zwei junge Inder mir entgegenkamen.
Als sie mich erblickten, leuchteten ihre Augen freudig auf, und sie
kamen auf mich zu und packten meine Brüste!..."
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Ich sah die schockierte Touristin mit den jungen Indern an ihrer Brust
vor mir, wenn ich in Leons sinnenfrohe Augen sah. In diesem Hotel schien
er in seiner Tätigkeit als Manager wenig Gelegenheit zu haben,
seinen Lebenshunger zu befriedigen und das Übermaß an Kraft
auszuleben, das in ihm steckte. Nur am Abend, eben vor Sonnenuntergang,
sah ich ihn mit den Hotelboys hinter dem Haus ein Federballdoppel spielen.
Später lehnte er mit aufgestützten Armen wie ein Hotelgast
vor der Rezeption. Hinter dem Pult saß der diensthabende Nachtportier.
Dann und wann flimmerte der Farbfernseher, der auf einer Konsole in
der Rezeption stand, und die beiden schauten sich gelangweilt das far-benprächtige
Eröffnungsspektakel des neu erbauten Stadiums in Madras an, das
feierlich nach dem in Tamil Nadu ermordeten Rajiv Gandhi benannt worden
war.
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