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Eines Morgens, als Leon mir einmal mehr gegenüber saß und
mich nachdenklich musterte, spürte ich, das er eine Frage auf
dem Herzen hatte. Ich hatte mich nicht geirrt, denn plötzlich
legte er seine Hand auf meine Schulter und fragte mich eindringlich:
"John! Weshalb sind Sie ein zweites Mal nach Indien gekommen?"
Ich überlegte. Dann sagte ich: "In Europa ist Winterzeit,
und ebenso erkaltet sind die zwischenmenschlichen Beziehungen dort!
Money! Mo-ney! - That's the European Way of Life!" Ich zuckte
mit den Achseln: "Keiner hat mehr Zeit für den anderen.
Hier in Indien hat das Leben immer noch Vorfahrt!"
Das war eine Binsenwahrheit, aber Leon schaute mich erleichtert an,
als hätte er eben diese Worte hören wollen. Er schien nun
ein Thema gefunden zu haben, in das er einhaken konnte. Er breitete
im Sitzen die Arme aus und rief: "Die Menschen in Kerala sind
arm, aber sie
l-e-be-n!" "Life!" Genüßlich dehnte er das
Wort und ließ es wie ein Genießer langsam auf der Zunge
zergehen: "L-i-f-e!" Seine großen, dunklen Augen sprühten
vor Leben.
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Nun schien er ganz in seinem Element zu sein: "Ich möchte
Ihnen eine Familiengeschichte erzählen!" Er kam in Fahrt und
schien sich etwas von der Seele reden zu wollen, als er be-gann: "Hören
Sie! Mein jüngerer Bruder heiratete früh in kleinen Verhältnissen.
Sein einziger Wunsch war ein kleines Haus und etwas Land und vielleicht
ein neues Transistorradio. Er ging wie viele Männer aus Kerala
und Goa auf die arabischen Ölfelder, wo man, wie Sie wissen, viel
mehr Geld als in Indien verdient. Seine junge Frau wartete geduldig
zu Hause auf ihn. Tat-sächlich kam er nach einer geraumen Weile
mit harten Greenbacks zurück, genug, um sich ein kleines Haus zu
bauen und ein Radio zu kaufen. Sogar für ein Stückchen Land
reichte es noch, und er legte eine Gummiplantage an." |
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