Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 1 / 1199f
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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Leon lächelte: "Inzwischen war ein Sohn geboren. Das Haus wurde meinem Bruder zu klein, und nach einer kurzen Zeit der Zufriedenheit reichte ihm das einfache Leben nicht mehr. Er ging zurück auf die Ölfelder. Seine junge Frau ließ er daheim, und wieder wartete sie geduldig auf seine Rückkehr. Sie magerte ab und begann zu kränkeln. Nun, mein Bruder kehrte nach Jahr und Tag zurück und baute für fünf Lakh - bedenken Sie nur: für 500.000 Rupien! - ein neues, großes Haus."
Leon schwieg. Dachte er an sein bescheidenes Salär, das er als Manager des kleinen Provinzhotels bezog? Nach einer nachdenklichen Pause fuhr er fort: "Doch mein Bruder wurde von Tag zu Tag unruhiger. Sein Traum war ein neues, importiertes Auto, für das ihm das Geld fehlte. Wieder ging er nach Arabien und kam nach einigen Jahren mit den besten Sorten schottischen Whiskys zurück und kaufte sich einen neuen, importierten Wagen. Er trank mit seinen alten Freunden, spielte den reichen Macker und fuhr sie in seiner Prachtlimousine spa-zieren. Seine Frau lag im Hospital."


Leon unterbrach seinen Redefluß: "Wissen Sie, weshalb Kerala von allen indischen Staaten die meisten Hospitäler hat? Nein? Die alten Menschen sitzen untätig herum und warten auf ihre Angehörigen, die im Ausland arbeiten. Sie bewegen sich zu wenig und beschäftigen sich solange mit Krankheiten, bis sie tatsächlich krank werden! - Nun, seine Frau starb im Hospital, und mein Bruder ging zurück nach Arabien, und er sagt, er will für immer dort bleiben. Seit achtzehn Jahren arbeitet er nun auf den Ölfeldern."
"Und was wurde aus seinem Sohn?" fragte ich.
"Der arbeitet." - "Wo?"
Leon schaute mich verständnislos an: "Er arbeitet wie sein Vater auf den Ölfeldern...!"
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