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Eine "Entwicklungshilfe" besonders charmanter
Art haben die Franzosen in ihrer ehemaligen Kolonie Pondicherry geleistet.
Sie bestand darin, daß sie eine Strandpromenade zu ihrem Ergötzen
bauten, aber damit auch zum großen Vergnügen der Inder.
In strenger Nordsüd-Richtung zieht sie sich am Ufer hin und fügt
sich dem streng geometrisch angelegten Stadtbild Pondicherrys nahtlos
ein, jenem - den Spaniern nachgeahmten - rechtwinkligen Stadtprinzip,
das immer wieder monoton wirkt.
Die Natur - der kurvenreiche Küstenstrich - hat sich im Laufe
der Zeit diesem strengen Streben nach linearer Planung verständnisvoll
angepaßt, verläuft die Küste doch heute ebenso geradlinig
im immer gleichen Abstand zur Strandpromenade, einsichtig der Tatsache,
daß dieser guten Idee von der Natur keine Hindernisse in den
Weg gelegt werden sollen. Denn die zweite großartige Idee, und
ich schreibe sie ebenfalls den Franzosen zu, war, das breite, doppelspurige
Asphaltband, gut geeignet für einen Monte Carlo-Rallye-Ableger,
an Sonn- und Feiertagen für den öffentlichen Autoverkehr
zu sperren. Ein Novum, ja, eine Sensation in einem verkehrsreichen
und turbulenten Land wie Indien.
Keine rasenden Busse qualmen Gift, keine heulenden Jeeps veranstalten
auf dem Boulevard ein Wettrennen, ausgeklammert ist jenes lärmende
Leben, das Eile und Hektik bedeutet. Eine Ausnahme in einem von Lärm
und Motorisierung gequälten Land. Und die Vision eines Frankreichs
von gestern taucht auf, das eines Marcel Proust oder Maupassant: beschauliches
Flanieren auf der Strandpromenade von Cannes.
Das ist das Beeindruckende in Pondicherry, von den Indern liebevoll
"Pondi" genannt. Tausendfach honorieren die Bürger
der Stadt diesen europäischen Weg der Ruhe, des Friedens und
der Beschaulichkeit: In Gruppen promenieren die Inder an den Wochenenden
auf der Strandpromenade, hocken sie versunken in Yoga-Stellung vor
der Brandung der Bucht von Bengalen - lesen, meditieren -, schauen
versunken, die sichtbare Welt umfassend, auf das anbrandende Meer.
Hier gibt es Wasser "zum Anfassen". Selten kommt der erholungssuchende
Reisende in Indien dem Meer so nah. Er weiß das zu schätzen.
Wann erlebt der Reisende das Meer so kultiviert und aus nächster
Nähe: ruhig, flammend von Sonnenaufgängen, ohne Exkremente,
ohne un-erträglichen Uringestank? Das Pissoir auf französische
Art am Nordende der langen Prome-nade ist eine exakte Kopie der Pissoirs
an der Place Pigalle und am Mont Parnasse in Paris.
Und die Flics, die in blau gekleideten Polizisten mit roter Schirmmütze,
regeln mit wirbelndem Stab den Fußgängerverkehr wie ihre
Kollegen auf der Rue Montmartre. Ein Hauch von Frankreich, von Fasson
und Charme ist spürbar. Doch unter den langschirmigen Mützen
erblickt der Betrachter die dunkelbraunen Gesichter der bildschönen
Tamil-Nadu-Mädchen, wird er einmal mehr überwältigt
von der strahlenden Schönheit der südindischen Frau. Der
indische Gast auf der Dachterrasse des HOTEL ROYAL ruft vornehm: "Garcon,
s'yl vous plais!" Er trägt den kecken schwarzen Schnurrbart
stolz wie der kleine Pariser Busschaffner oder der Poilu. Auf der
kleinen Place hinter dem Strand wird engagiert geboult, wird wie in
den Dörfern der französischen Provinz mit geübtem Schwung
die eiserne Kugel geworfen, landet sie exakt im Zielbereich.
So europäisch verträumt, europäischer als der alte
Kontinent, kann Indien sein. Aber Paris liegt für den Europäer
vor der Tür. Allein: dort fehlt der Kontrast zweier unterschiedlicher
Welten, der inspiriert, nachdenklich stimmt und zum Träumen einlädt.
Dort fehlt auch die notwendige Distanz zur eigenen Vergangenheit,
fehlt - darf ich es ketzerisch wagen zu sagen? - das frühkoloniale
Flair.
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