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Als ich an den alten Kellner im SUN AND SEA RESTAURANT
dachte, fiel mir eine Begebenheit ein, die sich in Pondicherry, der
ehemaligen französischen Kolonie an der Küste Tamil Nadus
zugetragen hatte: Ich hatte nach Sonnenuntergang auf dem Dachgarten
eines Seerestaurants Platz genommen und mir eine gut gekühlte
Flasche PONDICHERRY BEER bestellt.
Da sprach mich ein junger Kellner an, der mich beobachtet haben mochte,
wie ich dasaß und das geruhsame Leben auf der Strandpromenade
genoß und die in der Abendfrische flanierenden Inder betrachtete.
Er trat an meinen Tisch und tat vertraulich und stellte die üblichen
Fragen: woher ich käme, welchen Beruf ich ausübe, ob ich
verheiratet sei, ob ich Ganja, also "Stoff" brauche. Ich
war überrascht, so spontan angesprochen zu werden. Die Tamil
Nadu-Menschen und auch die aus Pondicherry sind nicht so mitteilsam
und vor allem nicht so herzlich direkt wie die aufgeschlossenen, oft
kindlich neugierigen Nachbarn in Kerala.
Der junge Kellner hatte das listige Gesicht des Bärenfängers,
und ich beschloß vorsichtig zu sein. Aber seine Spontaneität
war nicht gekünstelt. Sie gefiel mir, und ich beantwortete alle
Fragen trotz seiner Aufdringlichkeit. "Sie sind also in Trivandrum
gewesen?" rief er erfreut, "dort bin ich geboren! Ich bin
ein Kerala-Mann."
Immer wieder blieb sein Blick an meiner halbvollen Bierflasche hängen.
"Ich arbeite in diesem Restaurant für zweihundert Rupien
im Monat. Wieviel Deutsche Mark sind das?"
"Zwölf Mark!" - "Zwölf Mark?" Er schüttelte
den Kopf.
Ich fragte: "Bei Kost und Logis, nicht wahr?" Er nickte:
"Ich habe im Touristenzentrum Mamallapuram nahe Madras - waren
Sie dort? - in der Saison oft 1.800 Rupien verdient!"
Ich erinnerte mich, daß in Pushkar, Rajasthan, eine Tüte
Ganja ganze vier Rupien kostete. Also hatte er mit härteren Drogen
gehandelt.
"Sie verdienten 1.800 Rupien im Monat?"
"Am Tag! Dann bekam ich Probleme mit der Polizei, es waren Probleme
politischer Art, und ich mußte untertauchen. Deshalb bin ich
hier! Meine Familie lebt noch in Trivandrum."
"So gehen Sie doch zurück!" sagte ich, "an der
Kovalam-Beach können Sie gutes Geld verdienen!"
"Ich weiß es!", sagte er, schüttelte aber bedenklich
den Kopf, "ich habe Probleme mit meiner Familie und möchte
nicht zurück."
Sein unruhiger Blick blieb immer wieder an der Bierflasche hängen:
"Spendieren Sie mir eine Flasche?" Ich schüttelte den
Kopf. Dann fiel mir ein, daß das Bier im steuerbegünstigten
Pondicherry nur achtzehn Rupien statt der üblichen fünfundzwanzig
kostete. Drüben auf der Insel Sri Lanka kostete es sogar achtzig
- allerdings ceylonesische - Rupien. Ich sagte: "Wir können
uns eine Flasche teilen, wenn Sie möchten, sharing!." Er
ließ sich das nicht zweimal sagen, und eilte davon und flugs
stand eine zweite Flasche auf dem Tisch.
Ich füllte mein Glas und schob ihm die noch reichlich gefüllte
Flasche über den Tisch. Er murmelte: "Hier darf ich kein
Bier trinken, denn ich bin im Dienst! Sie verstehen?" Er griff
die Flasche und war, ehe ich antworten konnte, über die Hintertreppe
nach unten verschwunden.
Dort muß er die Flasche in einem Zug geleert haben, denn er
stand wieder vor mir, bevor ich einen weiteren Schluck aus meinem
Glas genommen hatte. Vielleicht hatte er mit diesem tiefen Schluck
alle seine Probleme für einige Minuten runtergespült, hatte
ihm der Alkohol für einen Moment einen Schub gegeben und alle
Sorgenfalten geglättet, denn er lachte wie von allen Sorgen befreit,
als er sich zu mir an den Tisch setzte.
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