Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 2 / 1204e
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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1204e

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Alle Tage im Jahr - (In Sri Lanka)

 

1
Diese Geschichte hat mich nur fünf Mark gekostet oder den Gegenwert von einhundertfünfzig ceylonesischen Rupien - zu wenig, um darüber auch nur einen einzigen müden Gedanken zu verschwenden. Doch zum einen hat sie einen lustigen Aspekt, und zum anderen hatte ich mir geschworen, nicht ein zweites Mal einem der üblen Guides oder Anmacher auf der Insel Sri Lanka auf den Leim zu gehen. Eben dies war kurz nach meiner Ankunft aus Deutschland geschehen. Einmal mehr war ich in einer schwachen Stunde charmant gelinkt worden, und mein Globetrotter-Selbstbewußtsein hatte eine weitere kleine Blessur erlitten.
Ein Boy in einem weißen Hemd hatte am Hoteleingang auf mich gewartet und mich ange-sprochen, als ich am Abend das Haus verließ. "Erinnern Sie sich, Sir? Heute morgen habe ich Ihnen den Tee serviert! Ich habe Geburtstag und möchte ihn gern mit meinem Freund feiern. Können Sie mir 150 Rupien leihen? Sie bekommen das Geld morgen bestimmt zurück!"
"Wie alt bist du geworden?" - "Fünfzehn, Sir!"
Ich erkannte ihn in der Dunkelheit nicht. Hatten mich die Boys im INTERLINE am Morgen etwa nicht lachend bedient? Gib dem Jungen eine Chance, anständig seinen Geburtstag zu feiern! dachte ich in einem Anflug von Sentiment. Wenn er das Geld nicht zurückzahlt, soll die dicke Madame die Rupien von seinem Lohn abziehen und für mich einbehalten.
Gesagt, getan: ich zückte meine Geldbörse und gab ihm die Rupien. Für fünf Mark konnte ich mir in Deutschland an meinem Geburtstag allenfalls zwei kleine Biere erlauben. Für hundertfünfzig Rupien konnte er hier die Puppen tanzen lassen.
"Auf Ehrenwort zurück?" fragte ich.
"Auf Ehrenwort!", und er schlug ohne zu überlegen kräftig in meine hingehaltene Hand.

2
Am nächsten Morgen brachte er mir das Geld nicht, und gegen Mittag ging ich zur Rezeption hinunter und sagte zur dicken Madame: "Der Boy, der mir gestern den Tee serviert hat, schuldet mir hundertfünfzig Rupien."
"Welcher Boy?", fragte sie und schaute mich stirnrunzelnd an, "what's his name?" Ihre Frage zeugte von ausgeprägtem Realitätssinn.
Ich zuckte mit den Schultern.
Madame sah mich erstaunt an: "Sie kennen seinen Namen nicht?" Damit schien die Sache für sie erledigt. Ich ging in mein Zimmer und zog ebenfalls einen Schlußstrich unter diese bedeutungslose Angelegenheit mit dem Fazit, immer noch auf Reisen das Greenhorn zu sein.
Da klopfte der Zimmerboy an die Tür: "Sie möchten zur Chefin kommen, Sir!" - "Okay!" sagte ich und ging mit ihm zum Empfang hinunter. Da saß die dicke Madame im Kreise ihrer jungen Mitarbeiter. Acht oder neun Hotelboys standen um sie herum - adrett und weniger adrett gekleidet in kurzen oder langen schwarzen Hosen, den mehr oder weniger sauberen Hemden. Neugierig schauten sie mich an - freundlich lächelnd die einen, ernst und reserviert die anderen, und ich war baß erstaunt, wie viele Boys die Chefin in diesem kleinen Hotel beschäftigte.
"Wem liehen Sie das Geld?" fragte sie und wies auf die wartende Gruppe. Ich sah mich um, schaute in die braunen Gesichter mit den strahlend weißen Zähnen und den großen, dunklen, unschuldigen Augen, die sich einmal mehr alle glichen. Ich schwieg. Dann schüttelte ich den Kopf: "Sorry, ich weiß es nicht!"
"Sie wissen es nicht?" Kopfschüttelnd schaute Madame mich an, und damit war die Vorstellung beendet.
"Very strange!" sagte ich achselzuckend.
"Wäääärie streenj!" sagte sie und betonte nachdenklich die Worte, als sei ich das Fragezeichen in dieser sehr fragwürdigen Angelegenheit.
"Wo sprach der Junge Sie an?" - "Vor dem Hotel."
Madame nickte und war zufrieden: "Dann war es keiner aus dem Hotel!" Damit war die Angelegenheit für sie endgültig unter dem Tisch. Es war allein mein Problem, die Risse in meinem Globetrotter-Stolz zu kitten; und alle Hotelboys dieser Welt konnten mir nicht helfen.

3
Vier Monate später kehrte ich aus Südindien nach Negombo und ins INTERLINE zurück, um hier auf meinen Rückflug nach Deutschland zu warten. Am Morgen meiner Ankunft begrüßte mich der Zimmerboy mit strahlendem Lächeln: "Aus Indien zurück, Sir?" Ich nickte. Er sagte: "Wissen Sie es schon?: Man hat den Boy, der sich an seinem Geburtstag von Ihnen Geld geliehen hat, aus dem Hotel geworfen! Er darf hier nicht mehr arbeiten!"
Ich erinnerte mich sofort an die Begebenheit und war überrascht: "Er hat also doch hier gearbeitet?"
Der Boy lachte: "Er hat sich an seinem Geburtstag von einem deutschen Touristen, der nach Ihnen Ihr Zimmer bewohnte, tausendfünfhundert Rupien geliehen und sie nicht zurückgezahlt. Die Madame warf ihn hinaus. Alle Gäste hat er angepumpt."
Der Kleine schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel: "Jeden Tag hat er Geburtstag gefeiert, denken Sie nur: 365mal im Jahr hat er sich von den Gästen Geld geliehen!" Der Boy konnte sich nicht beruhigen und lachte vor sich hin.
Da fiel mir eine Begebenheit ein, die sich vor vier Jahren in Ambalangoda im Süden der Insel zugetragen hatte: Ein Guide hatte mich um hundert Rupien angemacht "Mein Vater ist gestern gestorben, und ich muß mit dem nächsten Zug zu seiner Beerdigung nach Colombo fahren", hatte er geklagt. Er hatte mich verzweifelt angesehen: "Aber ich habe kein Fahrgeld!" Ich hatte ihm die Hälfte gegeben, um ihn loszuwerden.
"Kennst du Ambalangoda?" fragte ich den Hotelboy. - "Yes, Sir!"
"Dort lebt ein Guide, dessen Vater gerade in Colombo gestorben ist. Das erzählt er den Touristen Tag für Tag. Ist es nicht angenehmer, jeden Tag Geburtstag zu feiern, anstatt 365mal im Jahr mit dem Zug zur Beerdigung nach Colombo zu fahren?"
Der Kleine schaute mich verständnislos an. Dann fiel bei ihm der Groschen, und er begann schallend zu lachen. "Yes, Sir!", prustete er, "das ist wirklich besser!" Und er klatschte vor Vergnügen in die Hände.

Ende

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