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Diese Geschichte hat mich nur fünf Mark gekostet oder den Gegenwert
von einhundertfünfzig ceylonesischen Rupien - zu wenig, um darüber
auch nur einen einzigen müden Gedanken zu verschwenden. Doch
zum einen hat sie einen lustigen Aspekt, und zum anderen hatte ich
mir geschworen, nicht ein zweites Mal einem der üblen Guides
oder Anmacher auf der Insel Sri Lanka auf den Leim zu gehen. Eben
dies war kurz nach meiner Ankunft aus Deutschland geschehen. Einmal
mehr war ich in einer schwachen Stunde charmant gelinkt worden, und
mein Globetrotter-Selbstbewußtsein hatte eine weitere kleine
Blessur erlitten.
Ein Boy in einem weißen Hemd hatte am Hoteleingang auf mich
gewartet und mich ange-sprochen, als ich am Abend das Haus verließ.
"Erinnern Sie sich, Sir? Heute morgen habe ich Ihnen den Tee
serviert! Ich habe Geburtstag und möchte ihn gern mit meinem
Freund feiern. Können Sie mir 150 Rupien leihen? Sie bekommen
das Geld morgen bestimmt zurück!"
"Wie alt bist du geworden?" - "Fünfzehn, Sir!"
Ich erkannte ihn in der Dunkelheit nicht. Hatten mich die Boys im
INTERLINE am Morgen etwa nicht lachend bedient? Gib dem Jungen eine
Chance, anständig seinen Geburtstag zu feiern! dachte ich in
einem Anflug von Sentiment. Wenn er das Geld nicht zurückzahlt,
soll die dicke Madame die Rupien von seinem Lohn abziehen und für
mich einbehalten.
Gesagt, getan: ich zückte meine Geldbörse und gab ihm die
Rupien. Für fünf Mark konnte ich mir in Deutschland an meinem
Geburtstag allenfalls zwei kleine Biere erlauben. Für hundertfünfzig
Rupien konnte er hier die Puppen tanzen lassen.
"Auf Ehrenwort zurück?" fragte ich.
"Auf Ehrenwort!", und er schlug ohne zu überlegen kräftig
in meine hingehaltene Hand.
2
Am nächsten Morgen brachte er mir das Geld nicht, und gegen Mittag
ging ich zur Rezeption hinunter und sagte zur dicken Madame: "Der
Boy, der mir gestern den Tee serviert hat, schuldet mir hundertfünfzig
Rupien."
"Welcher Boy?", fragte sie und schaute mich stirnrunzelnd
an, "what's his name?" Ihre Frage zeugte von ausgeprägtem
Realitätssinn.
Ich zuckte mit den Schultern.
Madame sah mich erstaunt an: "Sie kennen seinen Namen nicht?"
Damit schien die Sache für sie erledigt. Ich ging in mein Zimmer
und zog ebenfalls einen Schlußstrich unter diese bedeutungslose
Angelegenheit mit dem Fazit, immer noch auf Reisen das Greenhorn zu
sein.
Da klopfte der Zimmerboy an die Tür: "Sie möchten zur
Chefin kommen, Sir!" - "Okay!" sagte ich und ging mit
ihm zum Empfang hinunter. Da saß die dicke Madame im Kreise
ihrer jungen Mitarbeiter. Acht oder neun Hotelboys standen um sie
herum - adrett und weniger adrett gekleidet in kurzen oder langen
schwarzen Hosen, den mehr oder weniger sauberen Hemden. Neugierig
schauten sie mich an - freundlich lächelnd die einen, ernst und
reserviert die anderen, und ich war baß erstaunt, wie viele
Boys die Chefin in diesem kleinen Hotel beschäftigte.
"Wem liehen Sie das Geld?" fragte sie und wies auf die wartende
Gruppe. Ich sah mich um, schaute in die braunen Gesichter mit den
strahlend weißen Zähnen und den großen, dunklen,
unschuldigen Augen, die sich einmal mehr alle glichen. Ich schwieg.
Dann schüttelte ich den Kopf: "Sorry, ich weiß es
nicht!"
"Sie wissen es nicht?" Kopfschüttelnd schaute Madame
mich an, und damit war die Vorstellung beendet.
"Very strange!" sagte ich achselzuckend.
"Wäääärie streenj!" sagte sie und betonte
nachdenklich die Worte, als sei ich das Fragezeichen in dieser sehr
fragwürdigen Angelegenheit.
"Wo sprach der Junge Sie an?" - "Vor dem Hotel."
Madame nickte und war zufrieden: "Dann war es keiner aus dem
Hotel!" Damit war die Angelegenheit für sie endgültig
unter dem Tisch. Es war allein mein Problem, die Risse in meinem Globetrotter-Stolz
zu kitten; und alle Hotelboys dieser Welt konnten mir nicht helfen.
3
Vier Monate später kehrte ich aus Südindien nach Negombo
und ins INTERLINE zurück, um hier auf meinen Rückflug nach
Deutschland zu warten. Am Morgen meiner Ankunft begrüßte
mich der Zimmerboy mit strahlendem Lächeln: "Aus Indien
zurück, Sir?" Ich nickte. Er sagte: "Wissen Sie es
schon?: Man hat den Boy, der sich an seinem Geburtstag von Ihnen Geld
geliehen hat, aus dem Hotel geworfen! Er darf hier nicht mehr arbeiten!"
Ich erinnerte mich sofort an die Begebenheit und war überrascht:
"Er hat also doch hier gearbeitet?"
Der Boy lachte: "Er hat sich an seinem Geburtstag von einem deutschen
Touristen, der nach Ihnen Ihr Zimmer bewohnte, tausendfünfhundert
Rupien geliehen und sie nicht zurückgezahlt. Die Madame warf
ihn hinaus. Alle Gäste hat er angepumpt."
Der Kleine schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel: "Jeden
Tag hat er Geburtstag gefeiert, denken Sie nur: 365mal im Jahr hat
er sich von den Gästen Geld geliehen!" Der Boy konnte sich
nicht beruhigen und lachte vor sich hin.
Da fiel mir eine Begebenheit ein, die sich vor vier Jahren in Ambalangoda
im Süden der Insel zugetragen hatte: Ein Guide hatte mich um
hundert Rupien angemacht "Mein Vater ist gestern gestorben, und
ich muß mit dem nächsten Zug zu seiner Beerdigung nach
Colombo fahren", hatte er geklagt. Er hatte mich verzweifelt
angesehen: "Aber ich habe kein Fahrgeld!" Ich hatte ihm
die Hälfte gegeben, um ihn loszuwerden.
"Kennst du Ambalangoda?" fragte ich den Hotelboy. - "Yes,
Sir!"
"Dort lebt ein Guide, dessen Vater gerade in Colombo gestorben
ist. Das erzählt er den Touristen Tag für Tag. Ist es nicht
angenehmer, jeden Tag Geburtstag zu feiern, anstatt 365mal im Jahr
mit dem Zug zur Beerdigung nach Colombo zu fahren?"
Der Kleine schaute mich verständnislos an. Dann fiel bei ihm
der Groschen, und er begann schallend zu lachen. "Yes, Sir!",
prustete er, "das ist wirklich besser!" Und er klatschte
vor Vergnügen in die Hände.
Ende
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