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THEMA: Anti-Atomkraft Bewegung
ORT: Gorleben, Wendland
ZEIT: 3. Mai 1980 - 4. Juni 1980
BILDMAPPE: Ablage im Bildarchiv 614 \
 

Damals ist heute

30 Jahre Republik Freies Wendland

Vor 30 Jahren entstand auf dem Gelände der Tiefbohrstelle 1004 in Gorleben ein Protest-Hüttendorf, die "Republik Freies Wendland". Dort lebten hunderte AtomkraftgegnerInnen 33 Tage ihre Vision einer anderen Welt. Dann wurde das Hüttendorf mit dem bislang größten Polizei-Einsatz der damaligen Bundesrepublik geräumt. Anläßlich des 30. Jahrestages ruft die BI Lüchow-Dannenberg zu Protesttagen vom 4.-6.2010 rund um die Atomanlagen auf.
Günter Zint, der Umbruch die Fotos für diesen Rückblick zur Verfügung stellte, lernte dort seinen Kollegen Hinrich Schultze kennen. Sie gründeten "panfoto" und begleiteten über viele Jahre die Anti-Akw-Bewegung mit ihren Bildern. Auch für manche Berliner war das Dorf 1004 ein Schlüsselerlebnis. Anfang der 80er Jahre gab es in Berlin noch etliche organisierte Anti-Atomkraft-Gruppen, die "Schöneberger", "Kreuzberger" oder "die Neuköllner", die sich regelmäßig im Ökodorf in der Kurfürstenstraße 14 trafen. Auf 1004 war ihr Treffpunkt "Berlin-Holzhausen" bis die Räumung kam. Am 4. Juni 1980 wurde das fantasievolle Dorf durch eine Polizei-Armada mit Bulldozern und allem drum und dran plattgewalzt, darunter auch eine Spezialeinheit mit geschwärzten Gesichtern, die die Leute vom Dach des Freundschaftshauses herunterholten. Eine bleibende Erinnerung, wie sich Monate später in der sich ausbreitenden Berliner Häuserkampfbewegung zeigen sollte. Denn als man sich in den besetzten Häusern wieder traf, war eines zumindest recht schnell klar: "Bei der nächsten Räumung halten wir nicht einfach die andere Backe hin." Auch den Widerstand im Wendland selbst prägen die damaligen Erlebnisse bis heute. Von Wolfgang Ehmke erhielten wir dazu den folgenden Rück- und Ausblick. Vielen Dank dafür.


Als am 3. Mai 1980 ein vielköpfiger Zug von Trebel aus in den Gorlebener Wald zog, dorthin, wo die Tiefbohrung 1004 geplant war, lachte die Sonne. Und es lachten die Protestler. Sie folgten nämlich der Bekanntmachung des Untergrundamtes 3131 Gorleben-Soll-Leben, Postfach 1004, um einen Platz zu besetzen, und natürlich wurde als erstes ein Freundschaftshaus gebaut. Das sind Orte jener merk-würdigen Verquickung von Protest und Lebensfreude, Aufbegehren und Begegnung, mit ihrem Mix aus Vortrag, Palaver und Kulturprogramm. Das hat Tradition. Das erste Freundschaftshaus wurde bei der Platzbesetzung im Wyhler Wald errichtet. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, Demonstrationen und Grenzblockaden stürmten im Februar 1975 nach einer Kundgebung mit 28.000 Teilnehmer/innen Tausende das Baugelände und besetzten den Platz - es war die "Geburtsstunde" der Anti-Atom-Bewegung.
Viele Geburtshelfer gab es. Da war die Bewegung in den 50er Jahren gegen den Atomtod, gegen die drohende atomare Bewaffnung der Bundeswehr und die Gefahren der Proliferation der Atomtechnologie, die ihren militärischen Ursprung gern verleugnete. Schließlich war da die Studentenrevolte mit ihren Happenings: den Sit- und Go-, den Love- und Teach-Ins.
Die Freie Republik Wendland, das Hüttendorf auf der Tiefbohrstelle 1004 über dem Salzstock Gorleben, war das herausragende Beispiel einer Symbiose von Kunst und Wissen/schaft. Jo Leinen (vielen auch bekannt als der berühmt berüchtigte Container-Joe) hielt einen Vortrag über Friede und Ökologie. Das Puppenspiel Die Bundschuhbauern wurde aufgeführt. Walter Mossmann kam und blieb auf 1004 und kreierte das Gorlebenlied. Es gab ein eigenes Radio, es wurde gefilmt und es gab und gibt Filme über die Platzbesetzung, jene sechs Wochen "anarchistischen Frühlings" im Mai und Juni 1980. Es gab Dichterlesungen mit Klaus Schlesinger, Wolf Biermann war da und der Juso Gerhard Schröder. Es gab Rock, Folk und Blues, Schweine, Hühner, eine Solaranlage, ein Frauenhaus und wo man hinhörte: Diskussionen. Beim Zähneputzen, Abwaschen und auf dem Donnerbalken. Über Demokratie und Polizeigewalt, über Halbwertzeiten und Bohrergebnisse .Es war ein (Über-) Lebensdorf und nachhaltig, nicht nur in den Parolen, die bis heute Bestand haben: Atomkraft nein - danke mutiert nämlich zu Sonnen-, Wind- und Wasserkraft - ja bitte. Das Leben auf 1004 war gelebter Widerstand.
Dass Begriffe wie 1004 nicht abgegriffen sind, liegt nicht nur am anhaltenden Widerstand im Lande gegen die Atomkraft und Gorleben als nukleares Endlager. Es liegt an der politischen Tagesaktualität. Erst im Sommer 2009 flog auf, dass nach Auswertung der Tiefbohrungen, zu denen 1004 gehörte, im Mai 1983 auf Weisung der Bonner Regierung unter Helmut Kohl Akten der federführenden Behörde, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, geschönt wurden. Bedenken wurden entschärft, die Empfehlung, andere Standorte zu untersuchen, wurde gestrichten. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Berlin ist jetzt mit diesen Vorgängen befasst. Auf diesem schwankenden Grund bewegt sich der Ausbau eines Bergwerks im Gorlebener Salz als Endlager für hochradioaktive Abfälle. Und derzeit vergeht kein Tag, an dem in den Medien nicht über den Prototyp von Gorleben, das absaufende Atommüllendlager Asse, und Gorleben berichtet wird. Denn die Wahl Gorlebens geschah gegen wissenschaftlichen Rat, daran knüpft heute Norbert Röttgen (CDU), der "grüne Schwarze", an, er tarnt die Absicht, Gorleben nach dem 10jährigen Moratorium weiter auszubauen, mit dem Begriff "Erkundung", die aber ist alternativlos -ergebnisoffen. Da sehen wir aber schwarz für ihn.
Da lachen die Protestler: Ein Freundschaftshaus in Gorleben steht schon wieder, die Bauern haben es gebaut. Fast jeden Sonntag wird am Schwarzbau Gorleben demonstriert, jeden Sonntag halten Christen im Wald eine Andacht. 2009 treckten wir nach Berlin, am 21. April treckten wir nach Krümmel. Wir brauchen sie immer noch, die Freundschaftshäuser, solange der Kampf gegen die Atomkraft nicht gewonnen und Gorleben nicht zu Fall gebracht wurde. Am 4. und 5. Juni, 30 Jahre nach der Räumung von 1004, sind wir alle wieder da. Die "alten" Junggebliebenen von 1980, die "jungen" Kluggewordenen der letzten Jahre. Rock, Blues, Filme und ein Wiedersehen wird es geben, wir tanzen, klönen, diskutieren und - umzingeln den Schwarzbau. Wie hieß es damals? "Turm und Dorf könnt Ihr Zerstören, aber nicht unsere KRAFT, die es schuf!" Damals ist heute.
Wolfgang Ehmke

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Fotos: Günter Zint/panfoto
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