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Das LING LING HOTEL setzte bescheidene Maßstäbe.
Aber in diesem grauen Kleinstadt-Ambiente hatten sie immerhin Gewicht.
Mit seinen sieben Etagen, den hohen Fenstern mit den blauen Gardinen
und der glatten, sauberen Klinkerfassade ragte das Hotel auch optisch
hoch aus der Armut der kleinen Provinzstadt heraus. Die holzgetäfelte
Rezeption mit den großen Weltuhren an der Wand war ein Blickfang
für alle, die nur ein bescheidenes Zuhause ihr Eigen nannten.
Da störte es nicht, daß alle Weltuhren immer die gleiche
Zeit anzeigten. Die Hotelzimmer waren neu und im hellen Blau gestrichen,
und im luftigen, großzügig ausgestatteten Restaurant hingen
moderne chinesische Drucke.
Im ersten Stock warben die freundlichen Mädchen im Beauty Saloon
um Kunden, und die Disco, das kleine Tanzetablissement im gleichen
Stock, war an Wochenenden Treff der Tanzfreudigen. Sie erhob keinen
Eintritt im Gegensatz zum Open Air-Tanzsalon vis-à-vis, das
zwanzig Pfennig Entree verlangte.
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Wer in der Disco die zwei Mark
für die Flasche Bier nicht bezahlen konnte, weil er zuvor in der
Hotelspielbank sein Geld verzockt hatte, konnte es bei einer Tasse Tee
belassen, die immer gratis war. Und wer die Tanzmädchen in ihren
schwarzen Kostümen oder mit den kurzen, blauen Röcken und
der weißen Rüschenbluse nicht bezahlen konnte, drehte sich
mit seinem Freund mit Anstand auf der bunt beleuchteten Tanzfläche.
Sie trugen fadenscheinige graue Anzüge von der Stange, die sie
irgendwo aufgetrieben hatten und tanzten im Walzer- oder Slow Fox-Rhythmus
vor laufenden Videoclips: Florenz, Rom, Madrid, Santa Lucia - La Paloma,
olè! Und auch die Tanzgirls tanzten mangels Nachfrage miteinander,
übten Drehung, Stech- und Spreizschritt, und so kam doch eine alle
verbindende Harmonie auf. Getrennt tanzte man einträchtig zusammen,
drehte man sich, gemeinsam lachend, parlierend und sich zuwinkend im
Kreise bei heftigem Geschiebe.
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