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Ausgestiegen (Sanya auf Hainan)

 

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Seit fünf Monaten wohnte der Australier in der heruntergekommenen Rotlichtabsteige am Hafen. Auch ich hatte in diesem schmutzigen Freudenhaus ein Zimmer genommen, denn es gefiel mir, mit dem Australier unter einem Dach zu wohnen und mit ihm am Abend nach Sonnenuntergang ein kaltes Bier zu trinken. Das geschah in der Regel schweigend, was gewiß nicht den Gewohnheiten eines Australiers entspricht. Der schätzt beim Trinken die Geselligkeit, die lärmende Fröhlichkeit: "Cheers!"
Aber es stellte sich schnell heraus, daß der Australier gebürtiger Ungar war, der auf irgendwelchen verschlungenen Pfaden nach Australien gelangt war. Der Teufel mochte wissen, weshalb er auf der Insel Hainan gestrandet war. Wie war er hergekommen? Was hatte ihn bewogen, diese heruntergekommene Absteige in sein Herz zu schließen und fünf Monate in einer Stadt zu leben, die nicht die geringste Spur eines wie auch immer gearteten Charmes aufwies? Gewiß hatte bei dieser Entscheidung der schmale Geldbeutel ein gewichtiges Wort mitgeredet.
Wo nahm der Mann das Geld her? "Der Australier hat 'beim Öl' gearbeitet" sagte man. Aber ich glaubte es nicht. Gewiß war es der für hiesige Verhältnisse niedrige Preis von hundert Yuan, der ihn bewogen hatte, am hoffnungslosen Ende der Welt eine Bleibe auf Zeit zu suchen.

Auch mit einem schweigsamen ungarischen Australier kommt man nach dem fünften oder sechsten Bier ins Gespräch. Als ich ihn fragte: "Haben Sie einmal Ihre alte Heimat Ungarn besucht?", wurde er gesprächig. "Nein", sagte er, "ich bin dort geboren, aber ich mag Ungarn nicht!" Ich sagte: "Ich bin in Deutschland geboren, aber Deutschland war nie meine Heimat!" Der Australier lachte und wies auf Lu, den Chinesen, der mit uns am Tisch saß: "Er ist Chinese und mag China nicht!" - "Also sind wir drei heimatlose Gesellen" sagte ich, und der Australier, der wie alle Trinker gern einen Grund zum Anstoßen suchte, lachte und bestellte noch eine Runde.
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Lu - der Dritte im Bunde - war Manager eines Fahrradclubs. "Lu Ming, Manager" stand auf seiner Visitenkarte, "BICYCLE FOR RENT (CLUB)." Und: "Service for cheaper Hotels!" Er hatte mir die run down-Absteige am Hafen ans Herz gelegt: "Sie zahlen nicht mehr als die chinesischen Gäste." Und auf meine besorgte Miene: "Hier werden Sie nicht gelinkt. Ich sorge dafür!" Ich nahm das schmuddelige Zimmer, als der Ungar in seine Kerbe schlug.
Wahrscheinlich war Lu Manager eines Fahrradclubs, der gar keine Räder besaß, denn es gelang mir nicht, auch nur einmal ein Rad von ihm zu leihen. Lu war "Hans Dampf in allen Gassen", ein geselliger Windhund, der überraschend gut englisch sprach. Ich bekam von ihm Informationen aus erster Hand, die ich in der Regel mit Bier bezahlte, denn Lu war Trinker...