Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 1 / 1199v
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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An der Tür

 

Die vielen Portiers, Pförtner und Wächter in Asien! Nenne ich sie Türsteher! Würdevoll tragen sie ihre khakifarbene Uniform mit glänzenden Schulterlitzen, gewichstem breitem Lederkoppel und mit dem schweren Revolver im Halfter. Ihre schwarzen Haare sind glatt zurückgekämmt, die Frisur glänzt fett nach BRISK. Gelangweilt lehnen sie auf ihre langen Karabiner oder halten einen schweren, hölzernen Schlagstock in der Hand.
Sie stehen vor Banken, Juweliergeschäften, Bars oder vornehmen Restaurants. Immer läuft das Leben an ihnen vorbei in Gestalt von hungrigen Wesen, neugierigen Touristen, von kauflustigen Kunden. Und die Zeit läuft an ihnen vorbei. Kaum einmal geschieht etwas, das ihr Leben sichtbar verändert. Aber die Zeit spielt keine bedeutende Rolle in ihrem bescheidenen Dasein. Diese Männer stehen auch vor Foto- und Schuhgeschäften und vor BURGER KING.
Betritt man ein Etablissement, öffnet sich die Tür oft wie von Zauberhand. Der uniformierte, stets gepflegte Türsteher betätigt sich geflissentlich als Portier. In Katmandu, im BURGER oder anderem KING, öffnet er den kleinen Balgen die Tür ebenso freundlich wie den Service verlangenden weißen Touristen.
Ich schloß diese einsamen Türsteher, an denen das Leben pausenlos vorbei hastet, ohne sie zu beachten, in mein Herz. Ich fing an, mich mit ihnen zu beschäftigen, sagte: "Hallo!" - ihnen freundlich zunickend -, oder: "Es wird heute regnen!" Und - in der STATE BANK OF INDIA - : "Der Dollar steigt!", was sie gar nicht interessierte, denn sie besaßen keine Dollars. Aber die Türsteher nickten höflich mit dem Kopf: "Yes, Sir!". Sie sagten selten "No!" Dieses Wort scheint nicht in ihren Vertragsbedingungen zu stehen.
Sie öffneten mir leise dankend die Tür - "Thank You, Sir!" - und nickten mir zu. Ich war auf die Straße entlassen und wieder allein. Kein menschliches Band hatte sich zwischen uns entwickelt. Wie Monumente standen sie vor den Türen, zu nichts zu bewegen, schauten auf den Boden, sinnierten vor sich hin, spielten gedankenverloren mit ihrem Holzknüppel, zeichneten einfache Figuren in den Sand, fingerten am Karabiner-Abzug herum, spielten mit ihrer Knarre, die zu benutzen sie wohl selten Gelegenheit hatten.

Manchmal schauten sie gleichgültig auf die Straße, musterten teilnahmslos die vorbei eilenden Passanten, warfen einen kurzen Blick auf das immer gleiche Verkehrstohuwabohu.
Sie stehen schon einmal müde mit hohlem Kreuz oder krampfhaft herausgestreckter Brust an der Tür - ein vorzeitig pensionierter Ghurka-Offizier etwa mit seiner schmalen Leibrente, die er aufbessern möchte. Sie stützen sich erschöpft von der Hitze und vom langen Stehen auf ihren hölzernen Schlagstock, heben auch einmal die Rechte in militärisch knappem Gruß an die Schläfe. Welch hohes Tier mag da inkognito hereinspaziert kommen?
Einmal verneigte ich mich tief, als sich auf meinem Weg in die JELCHIKO BAR plötzlich die Tür öffnete. Ich dankte, laut hustend: "Thank you, Sir!" Betonte das Sir!, trat servil meine schmutzigen Sandalen auf der Fußmatte ab, neigte höflich meinen Kopf, schaute aus dieser Stellung schnell nach oben um zu sehen, ob der Türsteher meine freundliche Geste respektierte, nahm meine Brille umständlich aus dem Futteral, setzte sie auf, überflog mit schnellem Blick das Restaurant und nahm eilig Platz, als ich einen leeren Tisch entdeckte.
Der Türsteher in seiner schnieken Uniform würdigte mich ausnahmsweise keines Blickes. Leise schloß er die Tür hinter mir und schaute nachdenklich auf die trinkenden Gäste - das Restaurant war gut besucht, denn es gab hier Bier und Drinks: eine Besonderheit in der heiligen Stadt Benares, in der Alkoholausschank strikt verboten ist!
Will ein Gast das Restaurant verlassen, zögern sie unmerklich mit dem Öffnen der Tür und werfen dem Counter - dem Kassierer - einen schnellen, fragenden Blick zu. Es scheint eine Absprache zwischen beiden zu bestehen und ein perfekt funktionierendes Arbeitsverhältnis: ein unauffälliges kurzes Nicken des Mannes an der Kasse genügt, um diensteifrig die Tür zu öffnen: "Thank you, Sir!"
Beflissentlich öffnet er auch dann die Tür, wenn es nackte Bettlerfüße sind, die er die steile Treppe zum Souterrain-Restaurant heruntersteigen sieht. Nur dem scheidenden Gast schlägt die Stunde der Wahrheit - die des Kassensturzes nach reichlichem Biergenuß, der sein schmales Reisebudget arg strapazieren mag: Reicht's für die Zeche, komme ich hier ungeschoren wieder 'raus?
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