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Es gibt Ereignisse, über die ich lieber den Mantel des Schweigens
decke, weil sie zum einen zu peinlich sind, um darüber zu berichten,
oder zum anderen einfach zu nichtssagend. Allerweltsereignisse, über
die man kein Wort verliert. Die folgende Allerweltsgeschichte hat mich
allerdings nachdenklich gestimmt:
Ich war am Anfang meiner Indienreise nach Trivandrum gekommen und hatte
ein Zimmer - wenn möglich unter dem Dach, bitte! - im THAITRA-HOTEL
verlangt und eine Absteige im 7. Stock bekommen: eine Bleibe knapp unter
den Wolken, doch nicht darüber. Fahre ich etwa nicht in Dritte
oder Vierte Welten, um zumindest aus luftigen Höhen von oben herab
am reichen und vielfältigen Leben der Menschen Vorder- und Südostasiens
teilzuhaben? Bereits in jungen Jahren zog ich es vor, nach Schulschluß
in alten Kastanien zu hocken, um dort in den Ästen meine Schulaufgaben
zu erledigen. Dabei sah ich auf die müden Lehrer herab, die nach
dem Unterrichtsende wie unter einer zentnerschweren Last gebeugt nach
Hause schlichen.
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Ihre Überzeugungskraft reichte immer nur bis zur letzten Unterrichtsstunde.
Punkt ein Uhr verhallte der letzte Schlag aufs Katheder, erlosch der Glaube
an sich selbst, schrumpfte das Selbstbewußtsein. Bereits auf ihrem
Weg zurück in die graue Realität ihres unbedeutenden Daseins
holte ihre kleine Wirklichkeit sie ein.
Ich auf dem Baum warf keine Steine auf die Trottel, nicht einmal Kastanien.
Dieser Gedanke kam mir damals nicht. Noch hatte ich nicht den teuflischen
Einfluß der Pädagogik auf unser aller Leben erkannt, die Schulung
für Schlachtfeld, Fließband und Konsumentenwahn. Noch war ich
nicht von der Verachtung auf eine Welt der Lüge und der moralischen
Heuchelei erfüllt, die mein Leben später in starkem Maß
beeinflussen sollte. Die Jugend verurteilt schnell, ist aber auch schnell
bereit zu verzeihen. Sie kennt noch nicht die Intoleranz und die eisige
Kälte des Erwachsenen, die sie auf ihrem harten Lebensweg später
prägen wird. |
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