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Doch was erzähle ich? Weiche ich doch allzu weit von der Geschichte
ab, die ich erlebte. Nichts hat sie mit sechsten oder siebten Stockwerken
zu tun, schon gar nichts mit hohen Kastanien und blassen Pädagogen.
Oder etwa doch? Alles trug sich in Trivandrum zu, der Hauptstadt von
Kerala, die jedem, der an die nahe, berühmte Kovalam Beach reist,
gut bekannt ist, denn dieser "schönste Strand der Welt"
- so die indische Fremdenverkehrswerbung - liegt nur 15 Kilometer von
der Hauptstadt entfernt.
Ich hockte dicht unter den Wolken. Einmal mehr lugte ich voller Erwartungen
mit unbestechlich scharfem Adlerblick aus meinem Wolken-Kuckucksheim
auf eine Welt, die so zu sein hat, wie ich mir sie vorstelle. Diesmal
war es kein gebeugt nach Hause schleichender Klassenlehrer, sondern
eine ganze lebendige Dritte Welt, die mir buchstäblich zu Füßen
lag. Wahrlich ein kleiner Fortschritt in meinem kurzen Dasein auf
Erden.
Das hat seinen angemessenen Preis - in meinem Fall auch den Zimmerpreis.
Dafür hatte ich das PHILIPS-Hausradio in Stereo auf vier Kanälen
und - darauf hatte mich mein Zimmerboy beflissentlich hingewiesen -
einen Farbfernseher japanischer Produktion mit fünf Videokanälen
im Hausprogramm. "Fernsehen schätze ich nicht" sagte
ich mit wegwerfender Handbewegung zum freundlichen Boy und nahm den
Kasten in der Folge demonstrativ nicht wahr. Radio lasse ich zu fortgeschrittener
Stunde gelten, und diese PHILIPS-Installierung war mir sehr vertraut.
Ich hatte sie bereits in Thailand gesehen und auch anderswo.
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Die alten Röhren waren mir ans Herz gewachsen. Sie hatten viele triste
Hotelstunden mit mir geteilt, waren indes, wenn ich sie auf Empfang schaltete,
meist stumm geblieben, hatten mich schnöde im Stich gelassen. Kein
Mozart und keine Neunte von Beethoven hatte mir über einen tristen
Hotelabend hinweggeholfen, aber auch kein moslemischer Gottesdienst in
Stereo war wie ein Trommelfeuer über mich hereingebrochen. Die alten
Röhren schwiegen mit einer Beharrlichkeit, die mich schließlich
überzeugte.
Wenn sie nicht wollen, dann soll es wohl so sein, sagte ich achselzuckend
zu mir und meinte die Röhren, die alten, klassischen. Vielleicht
waren nun bereits Transistoren in den braunen, hölzernen Kästen
installiert, die dreißig Jahre alt waren oder mehr - so alt wie
die verblichene PHILIPS-Reklame auf den Straßen. SONY prangte
dort in großen Lettern und mit farbiger Leuchtreklame - und SANYO
und wie die japanischen Großfirmen heißen. Der Großkonzern
aus Holland hatte ihnen das Radiogeschäft kläglich überlassen
- wie AGFA den Japanern das Fotogeschäft. Die verwitterten und
abgeblätterten Reklamewände in der Stadt erinnerten an bessere
Zeiten des deutschen Großbetriebs.
Vierzig Jahre mochten darüber verstrichen sein, überholt nun
von FUJI, PENTAX, KONICA und anderen Konzernen. Carnelleys - des alten
Kenianers - Worte kamen mir in den Sinn - damals hatten wir über
Autokonzerne geredet. "In den dreißiger und vierziger Jahren
fuhren in Nairobi nur amerikanische Autos", hatte der gestandene
Kenia-Mann gesagt, "aber heute sieht man nur noch Wagen japanischer
Produktion auf den Straßen." Der Westen hatte den afrikanischen
und asiatischen Markt in vielen Produktionszweigen an die Japaner abgetreten.
Das war kampflos und ziemlich glanzlos geschehen. Letztlich ist es mir
gleich, woher die Technik stammt, die unsere Welt zerstört, aber
ich bin nun einmal ein nimmermüder Kämpfer, und dieser farblose
Abgang von der Bühne des internationalen Wettbewerbs entspricht nicht
mei-nem stürmischen Naturell. |
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