Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 1 / 1199x
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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Doch was erzähle ich? Weiche ich doch allzu weit von der Geschichte ab, die ich erlebte. Nichts hat sie mit sechsten oder siebten Stockwerken zu tun, schon gar nichts mit hohen Kastanien und blassen Pädagogen. Oder etwa doch? Alles trug sich in Trivandrum zu, der Hauptstadt von Kerala, die jedem, der an die nahe, berühmte Kovalam Beach reist, gut bekannt ist, denn dieser "schönste Strand der Welt" - so die indische Fremdenverkehrswerbung - liegt nur 15 Kilometer von der Hauptstadt entfernt.
Ich hockte dicht unter den Wolken. Einmal mehr lugte ich voller Erwartungen mit unbestechlich scharfem Adlerblick aus meinem Wolken-Kuckucksheim auf eine Welt, die so zu sein hat, wie ich mir sie vorstelle. Diesmal war es kein gebeugt nach Hause schleichender Klassenlehrer, sondern eine ganze lebendige Dritte Welt, die mir buchstäblich zu Füßen lag. Wahrlich ein kleiner Fortschritt in meinem kurzen Dasein auf Erden.
Das hat seinen angemessenen Preis - in meinem Fall auch den Zimmerpreis. Dafür hatte ich das PHILIPS-Hausradio in Stereo auf vier Kanälen und - darauf hatte mich mein Zimmerboy beflissentlich hingewiesen - einen Farbfernseher japanischer Produktion mit fünf Videokanälen im Hausprogramm. "Fernsehen schätze ich nicht" sagte ich mit wegwerfender Handbewegung zum freundlichen Boy und nahm den Kasten in der Folge demonstrativ nicht wahr. Radio lasse ich zu fortgeschrittener Stunde gelten, und diese PHILIPS-Installierung war mir sehr vertraut. Ich hatte sie bereits in Thailand gesehen und auch anderswo.


Die alten Röhren waren mir ans Herz gewachsen. Sie hatten viele triste Hotelstunden mit mir geteilt, waren indes, wenn ich sie auf Empfang schaltete, meist stumm geblieben, hatten mich schnöde im Stich gelassen. Kein Mozart und keine Neunte von Beethoven hatte mir über einen tristen Hotelabend hinweggeholfen, aber auch kein moslemischer Gottesdienst in Stereo war wie ein Trommelfeuer über mich hereingebrochen. Die alten Röhren schwiegen mit einer Beharrlichkeit, die mich schließlich überzeugte.
Wenn sie nicht wollen, dann soll es wohl so sein, sagte ich achselzuckend zu mir und meinte die Röhren, die alten, klassischen. Vielleicht waren nun bereits Transistoren in den braunen, hölzernen Kästen installiert, die dreißig Jahre alt waren oder mehr - so alt wie die verblichene PHILIPS-Reklame auf den Straßen. SONY prangte dort in großen Lettern und mit farbiger Leuchtreklame - und SANYO und wie die japanischen Großfirmen heißen. Der Großkonzern aus Holland hatte ihnen das Radiogeschäft kläglich überlassen - wie AGFA den Japanern das Fotogeschäft. Die verwitterten und abgeblätterten Reklamewände in der Stadt erinnerten an bessere Zeiten des deutschen Großbetriebs.
Vierzig Jahre mochten darüber verstrichen sein, überholt nun von FUJI, PENTAX, KONICA und anderen Konzernen. Carnelleys - des alten Kenianers - Worte kamen mir in den Sinn - damals hatten wir über Autokonzerne geredet. "In den dreißiger und vierziger Jahren fuhren in Nairobi nur amerikanische Autos", hatte der gestandene Kenia-Mann gesagt, "aber heute sieht man nur noch Wagen japanischer Produktion auf den Straßen." Der Westen hatte den afrikanischen und asiatischen Markt in vielen Produktionszweigen an die Japaner abgetreten. Das war kampflos und ziemlich glanzlos geschehen. Letztlich ist es mir gleich, woher die Technik stammt, die unsere Welt zerstört, aber ich bin nun einmal ein nimmermüder Kämpfer, und dieser farblose Abgang von der Bühne des internationalen Wettbewerbs entspricht nicht mei-nem stürmischen Naturell.
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