Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 1 / 1199y
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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Diese Gedanken schossen durch meinen Kopf. Sie wissen, wie das ist: nach dem fünften OLD MONK RUM - ihn gab es in der Stadt endlich wieder zu kaufen - beginnt man an einem verlorenen Abend gelangweilt an irgendwelchen Knöpfen zu drehen, zuerst an den PHILIPS-Knöpfen, die, wie gesagt, keinen Wellensalat ins Zimmer brachten, dann an denen des Fernsehers. Und siehe da: auf der Mattscheibe begann es zu flimmern, dann ordnete sich das helle Durcheinander zu einem farbigen Bild, aus dem Lautsprecher brüllte und schoß es, und ich war mittendrin in einem harten Bandenkrieg zu Zeiten des Vietnamkriegs.
"Cop War" oder so ähnlich hieß der Reißer, ein Action-Thriller wie aus dem Lehrbuch und wie man ihn sich wünscht. Eine Handlung, die man auch ohne Worte oder auf hindi oder hebräisch begreift, zumal der Held des Streifens, der mir sofort sympathisch war, noch mit lädierter, verbundener Hand dem wohl letzten Gegner - so schien es - das Messer bis ans Heft ins Herz stieß. Als der Held dann - einsam in seiner Größe - ernst und gemessenen Schrittes den Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen verließ, verfolgt von den bewundernden Blicken einer bildschönen Vietnamesin - so soll es sein! -, richteten sich zwei Fadenkreuze auf seine Person, suchten sein Herz, schoben sich immer weiter ineinander, bis sie zu einem Kreuz verschmolzen - um dann...! Man sah das verkniffene Gesicht des letzten Heckenschützen, doch man sah den Helden nicht fallen, aber auch einem Schulschwänzer war klar: das Spiel ist aus. Es gibt keinen Sieger. Das erinnerte mich sofort an Sergio Leone, den italienischen Regisseur von "Für eine Handvoll Dollar" und so weiter, und tatsächlich war dieser Film ein Italo-Reißer aus bestem Hause.


Bevor ich den Flimmerkasten ausschalten konnte, durchaus zufrieden mit dieser Form einer Kurzweil an einem verlorenen Abend, kam der nächste Reißer auf den Schirm: Dschungelkrieg in Vietnam, in dem die Amerikaner alles wegschossen, was kreuchte und fleuchte, sich bewegte an Vietcongs. Ich dachte an Steve, den desertierten amerikanischen Soldaten im Norden Thailands und an seine verbitterten Worte: "Wir gewannen alle Schlachten, aber wir verlo-ren den Krieg!" Diese Tatsache schien den Indern zu gefallen, weshalb nahmen sie sonst Vietnam-Kriegsfilme in ihr Programm? Oder waren es etwa nur Videos aus dem Hotelarchiv?
Das war aus luftiger Höhe eine Sicht der Welt, die etwas dramatischer war als der Blick von alten Kastanien auf eine müde dahin trottende Lehrerschar, die nicht einmal einen alten Colt an der Seite trug. Ich scherte mich nicht darum, daß diese Dramatik und die Helden nur aus dem Flimmerkasten kamen, sozusagen Leben aus zweiter Hand. Bald gibt es Kabel-TV auch in Adlerhorsten. An diesem Abend war ich davon überzeugt. Vielleicht habe ich mir einen Colt an der Seite meiner Lehrer als Symbol der großen Freiheit damals gar nicht gewünscht, denn noch kannte ich die bedrückende Enge der Massengesellschaft und die eines menschenverachtenden sozialen Wohnungsbaus nicht. Man muß in seinem Leben zuerst die Enge erleiden, die Unfreiheit bedeutet, um den Wert der persönlichen Freiheit ermessen zu können. Nur dann kann man den Preis abwägen, den man für seinen Freiraum zu zahlen bereit ist.
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