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Man soll den Teufel nicht an die Wand malen. Oder nicht zuviel Krieg
auf sich ziehen, einem schlechten Traum nicht gestatten, monströse
Gestalt anzunehmen und sich in eine höchst bedrohliche Wirklichkeit
zu verwandeln. Das meine ich! Denn am nächsten Morgen rückte
mir die Wirklichkeit bedrohlich auf den Pelz. Nach dem Frühstück
nahm ich einen schrottreifen lokalen Bus in die Stadt, ich weiß
nicht mehr, wohin. Vielleicht wollte ich vor meiner Weiterreise nur
auf irgendeiner Bank einen Scheck einlösen.
Der alte Bus trug Jahrzehnte auf seinem rostigen Buckel und war überfüllt
- ein Anblick, der jedem Indienreisenden vertraut ist. Sein Alter
nicht achtend jagte er in halsbrecherischer Fahrt durch die Stadt,
bis er plötzlich in einem Stau von Menschen steckenblieb. Draußen
flutete eine lärmende Menge vorbei, blockierten im Chor brüllende
Gruppen die Straße. Von einem Moment zum anderen drängten
die Fahrgäste zur Tür, und bevor ich einen klaren Gedanken
fassen konnte, war das Vehikel halb leer, und ich war mit einigen
Indern allein.
Verdutzt blieb ich sitzen, und tatsächlich fuhr der Bus nach
einer Weile langsam wieder an. Kaum in Fahrt gekommen, bremste er
erneut scharf, und wie auf ein plötzliches Kommando warfen sich
die wenigen Fahrgäste auf den Boden. Dann hörte auch ich
das sanfte Siep-Siep der Kugeln wie von summenden Bienchen und das
helle Plang-Plang von Pistolenschüssen. Kugeln schwirrten am
Bus vorbei und durch die offenen Fenster in den Wagen hinein, und
vielleicht blieben einige im dünnen Blech hängen. Ich sprang
von meinem Sitz auf und warf mich zwischen die liegenden Fahrgäste.
Plötzlich schien der gleiche schreckhafte Gedanke alle zu durchzucken:
Im nächsten Augenblick geht im Bus eine Bombe hoch!
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Ich erinnerte mich an die Situation vor zwei Jahren in Nordindien, als
Bomben explodierten, gelegt von fanatischen Sikh-Anhängern, die Busse
und Fahrgäste in die Luft sprengten. Die Mitfahrenden schienen das
gleiche zu befürchten, denn sie sprangen auf und rannten zum Ausgang,
wobei jeder den anderen zur Seite stieß, die rettende Bustür
im Auge. Ich drängte mich nach vorn, und wir sprangen auf die Straße,
bevor das Schreckliche passieren konnte.
Von einem Moment zum anderen war es totenstill. Verwundert rieb ich mir
die Augen: die Straße war leer, kein Mensch war mehr zu sehen. Die
Geschäfte waren in Windeseile geschlossen und die eisernen Jalousien
heruntergelassen worden. Allein ein Trishaw, ein dreirädriges Kleintaxi,
parkte am Straßenrand. Der junge Fahrer hatte den Motor abgestellt.
Auf dem Rücksitz saß eine blonde Touristin, die Reisetasche
auf den Knien und wartete mit stoischer Ruhe auf die Weiterfahrt. Ein
Bild, das sich mir tief einprägte und mich sofort in die Wirklichkeit
zurückholte.
Die Menschen hatten gegen die Regierung und die hohen Lebenshaltungskosten
demonstriert und waren vor das Regierungsgebäude gezogen. Soldaten
hatten Warnschüsse über die Köpfe der Demonstranten gefeuert
und auf den Bus, der in die Demonstranten hineinfuhr. Er war hoch genug,
um einige Kugeln abzufangen. Ich beschloß, noch einmal Le Bons
großes Werk "Psychologie der Massen" zu lesen, um mir
das irrationale "Hinaus aus dem Bus!" zu erklären, das
mich übermannt und das logische Denken für einen Moment blockiert
hatte.
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