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Wenn ich am frühen Mittag frühstückte,
standen die Kellner des HARITAGIRI um meinem Tisch herum. Lächelnd
sahen sie zu, wie ich die Spiegeleier verzehrte und dazu den süßen
schwarzen Tee trank. In ihren weißen, gestärkten Oberhemden
mit den adretten schwarzen Fliegen und den gebügelten Hosen boten
sie immer einen freundlichen Anblick. Wir parlierten über dieses
und jenes und über Gott und die Welt. Es ergab sich, daß
sie auch auf Deutschland zu sprechen kamen. Sie stellten Fragen, die
von erstaunlicher Sachkenntnis zeugten.
"In Ihrem Land gibt es große Probleme mit den Neonazis",
sagte Shiju, der Oberkellner, dessen Service in der Regel der beste
war, "man hat Häuser angezündet und Asylanten verbrannt.
Gestern, am 30 Januar, gab es im Fernsehen einen Bericht über
die Machtübernahme durch die Hitler-Nazis vor fünfzig Jahren!"
Ich rechnete nach: "Das ist 1933, also vor sechzig Jahren, geschehen.
Da war ich noch nicht geboren."
"Aha!" sagte er. Er wandte sich an seine Kollegen und redete
in malayalam auf sie ein. Geduldig hörten sie ihm zu. Dann fragte
er mich nach meiner Arbeit: ob meine Bücher ins Englische übersetzt
würden, ob ich eine Auszeichnung für ein Buch bekommen hätte.
Ich lachte und schüttelte den Kopf. Da erinnerte ich mich, daß
ich im letzten Jahr ein Stipendium über 5.000,-- Mark bekommen
hatte, das waren 90.000,-- Rupien, und ich sagte es ihnen. Für
dieses Geld mußte ein einfacher Mann in Kerala acht Jahre arbeiten.
Sie schwiegen anerkennend, denn das war in ihren Augen die späte
Bestätigung dafür, daß ich doch der reiche Tourist war,
für den sie mich vom ersten Tag an gehalten hatten.
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"Wie heißt das Buch, für
das Sie den Preis erhalten haben?" fragte Rajiv, der jüngste
Kellner. Ich sagte: "ANAK - Geschichten von den Philippinen. ANAK
ist ein Wort aus dem Visayan-Dialekt, einer eigenständigen Sprache
wie das Malayalam in Kerala. Es bedeutet Kind und ist der Titel eines
populären Liedes. Der bekannte Sänger Freddy Aguilar hat es
geschrieben und gesungen. Jeder Filipino kennt diesen Song."
"Ich habe ihn im Radio gehört", sagte Rajiv, "ich
habe auch einige Stücke von William Shakespeare gelesen, 'König
Lear' und 'Hamlet' zum Beispiel. Haben Sie schon einmal einen indischen
Autor gelesen?"
Stapelte er zu hoch? Ich sagte: "Das eine oder andere Buch des indischen
Philosophen Krishnamurti. Ansonsten habe ich nur einige Bücher des
indischstämmigen Schriftstellers V.S. Naipaul gelesen. Aber dieser
Autor ist in Ostafrika und nicht in Indien geboren."
"Naipaul ist ein berühmter Mann!", sagte Rajiv, "er
ist in der Karibik geboren."
Ich erinnerte mich: Rajiv hatte recht. Ich sagte: "Seine Eltern
sind später nach Trinidad gegangen, war es so?"
Rajiv schüttelte den Kopf: "Seine Großeltern sind von
Indien direkt nach Trinidad ausgewandert!"
Ich meinte: "Ein Buch von ihm schätze ich besonders: 'Eine
islamische Reise'. Ist Naipaul Moslem?" - "Nein, Sir, er ist
Hindu!"
"Und er lebt und unterrichtet nun in England" sagte ich, um
mitreden zu können, und der junge Kellner lachte: "Yes, Sir!"
Das allgemeine Bildungsniveau der Kerala-Menschen ist höher als
das der Menschen in anderen indischen Staaten. Sie sind stolz darauf
und versäumen nicht, bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen.
Ich fragte mich, ob ich mich beim Frühstück mit einem Kellner
im Bayerischen Wald so eingehend über Gottfried Benn oder Oskar
Maria Graf und seinen beeindruckenden Roman "Das Leben meiner Mutter"
unterhalten könnte. Oder über das Leben und Wirken von Mahatma
Gandhi. Über die neuesten Fußballergebnisse und die jüngsten
Lottozahlen bestimmt. |
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