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Am Morgen nach meiner Ankunft im HARITAGIRI bestellte
ich mir eine Kanne schwarzen Tee. Ein Boy in schneeweißem Hemd
mit schwarzer Fliege und sauberer dunkler Hose nahm die Bestellung
entgegen. Es war ein mir unbekanntes Gesicht. Der Boy servierte den
Tee mit dem freundlichen Lächeln des Kerala-Menschen. Er stellte
mir keine Kanne, sondern eine Tasse Tee auf den Tisch. Es war kein
schwarzer Tee, sondern Tee mit Milch, der obligatorische indische
Chai.
Ich sah mich im Restaurant um: die bekannten Gesichter waren verschwunden.
Allein an der Rezeption hatte mich der freundliche Mitarbeiter vom
letzten Jahr begrüßt: "Wieder im Land, Sir?"
Neues Personal, nicht weniger freundlich, bediente. Aber die Boys
verstanden meine be-sonderen Wünsche nicht.
Ich trank den Tee mit Milch. Da setzte sich ein drahtiger junger Mann
mit einem höflichen: "I disturb?" zu mir an den Tisch.
Er trug eine sportliche Baumwollhose und ein weißes, kurzärmliges
Hemd. "Vielen Dank für Ihren Brief, Mister John! Ich heiße
Ranjit und bin der neue Manager des HARITAGIRI."
Ich mußte sofort an Leon, den alten Manager, denken. Er hatte
sich immer schweigend zu mir an den Tisch gesetzt, und wir hatten
wortlos miteinander Zwiesprache gehalten. Ich hatte meine Spiegeleier
verzehrt, und Leon hatte seinen Gedanken nachgehangen. Es war immer
ein stilles Einvernehmen zwischen uns gewesen. Das ruhige Lächeln
auf Leons Gesicht war aus seinem Hara gekommen, dem Sonnengeflecht.
Wie eine glühende Birne hinter einem großen Opalglas hatte
es gestrahlt und sein Gesicht von innen erleuchtet.
Ich betrachtete Ranjit: sein smartes Lächeln war wie das vieler
Inder fest in sein dunkles Gesicht eingebrannt. Leon, mit seiner untersetzten
Figur und dem runden Bäuchlein, das zur Fülle neigte, war
ein Living Buddha. Ranjit hatte die sportliche Figur des durchtrainierten
Tennisspielers.
"Ich habe in Madras im Hotelwesen gearbeitet und mich dann um
diesen vakanten Posten beworben", sagte Ranjit, "ich sehnte
mich nach Ruhe. Nach der Hektik der großen Stadt und der schlechten
Luft - kennen Sie Madras? - ist Wyanad ein wahres Paradies. Ich genieße
die wohltuende Ruhe und die reine Bergluft. Hier kann ich ausspannen!"
Ich dachte an Henry Millers Buch "Teufel im Paradies" und
sagte: "Im Menschen steckt ein Teufel, der ihn an keinem Ort
der Welt glücklich werden läßt. Lebe ich im hektischen
Berlin, dann sehne ich mich nach Ruhe, Landluft und dörflicher
Abgeschiedenheit. Lebe ich auf dem Dorf, macht sich nach einer Weile
eine immer stärker werdende Unruhe in mir breit. Ich beginne
mich nach rauchigen Bars und Kneipen zu sehnen und nach heftigen Diskussionen
mit irgendwelchen Aussteigern."
Ranjit schwieg. Ich fragte: "Sind Sie in Madras geboren?"
Er schüttelte den Kopf: "Ich bin in Ostafrika aufgewachsen.
Meine Jugendjahre habe ich in Nairobi verbracht. Ich bin nach Indien
zurückgegangen, weil man in Nairobi im Dunklen nicht mehr auf
die Straße gehen kann, ohne überfallen zu werden."
"Ich kenne die Situation."
"Dann wissen Sie, wie unruhig es in Kenia geworden ist."
Er fuhr fort: "Meine Urgroßeltern kamen im Zuge des Eisenbahnbaus
durch die Engländer als Gleisarbeiter nach Afrika. Nach der Fertigstellung
der Uganda-Bahn wurden sie Händler. Die Engländer schätzten
die Inder als genügsame und fleißige Arbeitskräfte.
Viele Inder sind damals in Kenia geblieben und bestimmen heute den
Handel. Sie werden es gesehen haben."
Ich nickte: "In Kisumu am Lake Victoria ist der Textil- und Elektrohandel
ganz in der Hand von Indern - Leuten aus Kaschmir und dem Punjab.
Ich habe auch Männer aus Goa getroffen. Die Händler grenzen
sich demonstrativ von den Schwarzen ab. Sie sind korrekte Geschäftsleute,
aber kühl und distanziert - auch weißen Kunden gegenüber."
"So ist es!" sagte Ranjit.
Wieder trat eine Pause ein. Ich hatte noch eine Frage auf dem Herzen:
"Im HARITAGIRI habe ich kaum ein bekanntes Gesicht aus dem Vorjahr
gesehen. Weshalb wechselt hier das Personal so schnell?"
"Der Besitzer dieses Hotels, Mister Perco, ist der Chef einer
Hotelkette mit Niederlassungen in den kleineren Städten Keralas",
sagte Ranjit, "er besitzt sechs Hotels und versetzt das Personal
oft von einem Hotel zum anderen, um gewerkschaftlichen Gruppenbildungen
und Lohnkämpfen aus dem Weg zu gehen."
Um welche Lohnerhöhung sollten die Hotelbediensteten kämpfen,
wenn die meisten überhaupt keinen Lohn bekamen? Arbeiteten sie
nicht ausschließlich für Unterkunft, Essen und ihre Arbeitskleidung?
Diese Frage lag mir auf der Zunge. Aber ich fühlte, daß
dem Hotelmanager wie vielen Indern problembeladene Gespräche
fremd waren, war er doch auch nicht auf den "Teufel im Paradies"
eingegangen. Also schwieg ich.
Ranjit sagte: "Mister Leon, den Sie kennen, ist nun Geschäftsführer
des SPRING HOTEL in Palakkad." Er erhob sich: "Bitte warten
Sie einen Augenblick." Ranjit verließ das Restaurant und
kam mit einem dicken Buch zurück: "Das sind Mister Percos
Hotels." Er blätterte die Seiten mit den farbigen Hotelansichten
um. Die Häuser waren ansehnlich und wirkten gepflegt wie das
HARITAGIRI.
"Mister Perco ist nicht besonders intelligent" sagte Ranjit.
Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen: "Aber er riecht
das Geld! Er besitzt auch eine Baufirma."
"Die ihm die Hotels baut?" unterbrach ich ihn.
"Und eine Finanzierungsgesellschaft. Sehen Sie dieses Foto."
"Die ihm die Projekte finanziert!" Ich lachte.
"Vor kurzem hat er eine Seifenfabrik erworben."
"Sie liefert ihm die Hotelseife?"
Ranjit nickte. Ich sagte: "Sie ist so grün wie das Firmenschild
seiner Gruppe. Das ist die PERCO GROUP, nicht wahr?" - "Ja!"
"Die Hotels gehen gut?" - "Die Hotels gehen sehr gut.
In Palakkad besitzt er als einziger eine Lizenz für Alkoholausschank."
"Ein gutes Geschäft!" staunte ich.
"Ein sehr gutes Geschäft!" Wir lachten.
Die Hotelbediensteten mußten sich für ihre Arbeit wohl
mit Essen, Kleidung und Unterkunft begnügen - und das war überhaupt
kein Grund zum Lachen.
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